Eine Rezension von Helmut Caspar

Ein Kunstsammler blickt zurück

Heinz Berggruen: Hauptweg und Nebenwege
Erinnerungen eines Kunstsammlers.
Nicolaische Verlagsbuchhandlung, Berlin 1996, 254 S.,
38 z. T. farbige Abb.

Picasso und seine Zeit - die Sammlung Berggruen.
Katalog zur Ausstellung. Hrsg. von den Staatlichen Museen
zu Berlin - Preußischer Kulturbesitz.
Nicolaische Verlagsbuchhandlung, Berlin 1996, 332 S.,
zahlr. meist farbige Abb.

Für sein Erinnerungsbuch hat der 1914 in Berlin geborene und dorthin zurückgekehrte Journalist, Kunsthändler und Sammler Heinz Berggruen den Titel eines Gemäldes von Paul Klee gewählt. Die Elemente, die den Künstler als einen der bedeutendsten Maler des 20. Jahrhunderts ausweisen, seien in dem Bild enthalten, schreibt Berggruen und bezeichnet es als weises, verklärtes Werk, ein magisches Topogramm, „das die Verästelungen des Lebens mit größter Akribie und Sensibilität nachzeichnet“. Berggruens Buch, das die Haupt- und Nebenwege eines langen Lebens nachzeichnet, erschien zur Eröffnung der auf wenigstens zehn Jahre berechneten Ausstellung „Picasso und seine Zeit“ im Stülerbau gegenüber dem Schloß Charlottenburg. Nachdem der Sammler bereits Werke von Paul Klee dem Metropolitan Museum of Art New York geschenkt und weitere Stücke seiner Sammlung in der National Gallery London gezeigt hatte, fand er in Berlin mit Hilfe der Staatlichen Museen - Preußischer Kulturbesitz ein „maßgeschneidertes Museum“. Für die Aufnahme der 113 Gemälde, Grafiken und Plastiken haben die Architekten Heinz Hilmer und Christoph Sattler, die auch für die Neue Gemäldegalerie im Kulturforum verantwortlich zeichnen, die Räume im westlichen Stülerbau umgestaltet. Das Berliner Abgeordnetenhaus sprang über seinen eigenen Schatten und genehmigte acht Millionen Mark für den Umbau.

Bevor Berggruen auf sein Leben zurückschaut, schildert er, wie der Generaldirektor der Staatlichen Museen, Wolf-Dieter Dube, ihn ermunterte, die Sammlung in Berlin zu zeigen. Er sei über diese Lösung glücklich, Berlin sei der beste Standort, erklärt der 82jährige. „Auf den Haupt- und Nebenwegen des Sammelns führten die Spuren zurück zu meinen Anfängen, ins Berlin meiner Kindheit und Jugend. Dies erscheint mir als glückliche Fügung. Ich verstehe diesen Schritt aber auch als ein Zeichen der Versöhnung, als einen Beitrag zur Anerkennung und Bestätigung eines wieder in die Völkergemeinschaft integrierten, friedfertigen und demokratischen Staates.“ Bei der Ausstellungseröffnung fügte Berggruen hinzu, was nach den vereinbarten zehn Jahren sein wird, wisse er nicht. Aber wenn es keine „rechte“ Katastrophe gibt, womit er angesichts der starken demokratischen Kräfte in Deutschland nicht rechne, könnten seine Schätze über das Jahr 2006 hinaus in der Stadt bleiben.

In seinem Buch kommen solche weiterführenden Überlegungen noch nicht vor. Der Verfasser breitet in klarer Sprache und leichtem Humor sein langes Leben, seine Herkunft aus einem „liberalen“ jüdischen Elternhaus aus, in dem Kunst, schon gar nicht die Moderne, keine Rolle spielte, das Kunststudium in der französischen Provinz, das ungläubige Erstaunen über antisemitische Exzesse in Nazideutschland, deren Gefährlichkeit im Haus Berggruen nicht ernst genommen wurde, das „illegale“ Schreiben für die „Frankfurter Zeitung“ unter einem Kürzel, schließlich die Emigration aus Deutschland, als das noch möglich war. Es folgen Gehversuche in den USA, Berichterstattung über Kunstfragen, Anstellung an einem Museum, die Gründung einer Familie, eine heftige, aber kurze Liebesaffäre mit Frida Kahlo, der schönen Frau des Malers Diego Rivera. Kurz kommen in dem Band nur die Kriegsjahre weg, die den ausgewanderten Deutschen in amerikanischer Uniform schließlich ins befreite Deutschland brachten. Als Redakteur der Münchener Zeitschrift „Heute“ konnte Berggruen seine sprachlichen Talente nutzen. Er erinnert sich vor allem an Erich Kästner, der ihm einen seiner Gedichtbände mit diesem Vierzeiler widmete: „Ein guter Mensch zu sein, / gilt hierzulande / als Dummheit, wenn nicht gar / als Schande.“

Nachdem die Zeitschrift eingegangen war, arbeitete der US-Bürger Berggruen in den vierziger Jahren in Paris bei der UNESCO. Doch da er dort nicht sehr ausgelastet war, schaute er sich in Galerien und Ateliers um. Der Schritt vom Betrachter zum Sammler und Kunsthändler war getan, als er günstig Blätter von Toulouse-Lautrec kaufen und verkaufen konnte. Besonders faszinierten ihn die bis dahin unbekannten Werke des von den Nazis verfemten Paul Klee; seine „zweite Liebe“galt Pablo Picasso, mit dem ihn eine lange Freundschaft verband. Picassos Arbeiten wurden bald schon in Berggruens Galerie ausgestellt und verkauft. Als Sammler trachtete er danach, charakteristische Arbeiten von Pablo Picasso und anderen Meistern in seinen Besitz zu bringen. Manchmal mußte er sich von Teilen seines Kunstbesitzes trennen, um den Kauf eines heiß begehrten Bildes finanzieren zu können. War ein Ankauf gelungen, ließ er das Bild bald wieder los: Alle großen Picasso-Ausstellungen und andere Expositionen enthalten auch Leihgaben der Sammlung Berggruen.

Was der Kunsthändler mit zurückgewonnener deutscher Staatsbürgerschaft wem besorgte, wird ebenso mitgeteilt wie die Begegnungen mit Künstlern und Händlern, vor allem Picasso und Daniel-Henry Kahnweiler. Daß Berggruen mitunter Rückschläge und Verluste hinnehmen mußte, liegt in der Natur der Sache, auch Fälschungen sind schon mal vorgekommen. Ohne allzusehr ins Detail seiner geschäftlichen Aktionen zu gehen - Preise werden kaum genannt -, vermittelt der Verfasser in seiner faßlichen, ungekünstelten Prosa einen Hauch dessen, was es bedeutete, in den Nachkriegsjahren moderne Kunst zu sammeln und zu verkaufen. Daß er bisweilen sein bester Kunde war und in Konflikte mit potentiellen Käufern kam, gibt Berggruen unumwunden zu. „Mein Sammeln begann ganz bescheiden, so wie auch die Galerie aus bescheidenen Anfängen wuchs, und über die Jahre wurde es zur Passion. Später hatte ich dann manchmal das Gefühl, die Galerie sei eigentlich nur ein Vorwand, meine eigene Sammlung weiter auszubauen. Ich entwickelte mich wirklich zu meinem ‚besten Kunden‘.“ Nachdem sich Berggruen aus dem Geschäft zurückgezogen hatte, konnte er sich ganz seiner Sammlung widmen. Mit Groll beschreibt er, wie ihm Genfer Bürger die kalte Schulter zeigten, als sie seine Bilder, wie jetzt in Berlin, ausstellen sollten. Vornehm geht der Sammler über eidgenössische Kurzsichtigkeit hinweg und lobt dafür Berlin, womit sich in diesem Buch der Kreis schließt.

Heinz Berggruen hat kein Buch über die Bilder, Zeichnungen, Gouachen und Plastiken seiner Sammlung geschrieben, nur selten interpretiert er herausragende Stücke. Wenn man Genaueres wissen möchte, muß man in die Spezialliteratur, vor allem den exzellent gemachten Katalog zur Berliner Ausstellung, schauen. Der Band stellt alle Exponate in Bild und Schrift vor und zeigt damit, was Berlin durch die Leihgabe von Heinz Berggruen gewonnen hat und wie sie sich in die Charlottenburger Kultur- und Museumslandschaft einfügt. „Meine Bilder dort zu wissen, und vor allem auch in der Stadt, in der ich geboren und aufgewachsen bin, erschien mir ein großartiger Gedanke“, schreibt der Sammler im Geleitwort. Wenn es ihm gelungen sei, durch die Ausstellung der vielschichtigen Kunstszene in Berlin eine „neue, wesentliche Dimension zu geben, dann, so möchte ich hoffen, ist etwas Sinnvolles erreicht“.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 10+11/96 (c) Edition Luisenstadt, 1996
www.berliner-lesezeichen.de

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