Eine Rezension von Gudrun Schmidt
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Eckensteher des Alltags

Friedrich Luft: Blick über den Zaun
Tagesblätter.
Transit Buchverlag, Berlin 1999, 128 S.

Über Jahrzehnte meldete er sich im RIAS als „Stimme der Kritik“ zu Wort. „Gleiche Welle, gleiche Stelle“ - dieser Slogan war zu einem Markenzeichen geworden. Wie kein anderer hat Friedrich Luft die Entwicklung des Theaters seit der Nachkriegszeit bis zu seinem Tod im Jahr 1990 profund beschrieben, kritisch begleitet und nachhaltig beeinflußt. Seine Meinung hatte Gewicht. Wer zu Zeiten der Mauer im Ostteil der Stadt die Sendungen regelmäßig hörte, konnte sich in etwa ein Bild machen, was an Westberliner Bühnen zu sehen war. Und seine Sicht auf die Inszenierungen Ostberliner Theater wurde in der DDR mit Argwohn oder, je nachdem, mit stiller Freude aufgenommen. Bei aller Unbestechlichkeit des Blicks, der Schärfe und Genauigkeit der Analyse - vernichtend war er in seinen Urteilen nie. Dafür liebte er das Theater zu sehr.

Nicht der Theatermann Friedrich Luft begegnet uns in dem Band Blick über den Zaun. Über 70 Feuilletons, die er in den Jahren 1946 bis 1947 für den „Tagesspiegel“ schrieb, sind hier versammelt. Zusätzliche Aufnahme haben vier später entstandene Texte gefunden. Als „Urbanus“, so sein Pseudonym, erkundete er in jener Zeit die Stadtlandschaft. Er erzählt alltägliche Geschichten, in denen sich die Stadt mit ihren vielen unterschiedlichen Gesichtern spiegelt. Noch sind die Wunden des Krieges überall spürbar. Doch nicht die äußeren Zerstörungen stehen im Mittelpunkt. Dieser Urbanus ist ein feinsinniger Beobachter, er schaut genau hin, nimmt Gebückte, Frierende wahr, „durch deren Backen der Wind und das ganze Elend der Zeit gehen“. Sie ähneln nicht den „Siegesallee-Figuren“ aus den Lesebüchern. Verdächtig geworden ist der Begriff „Heldentum“. Weinen, Gesichter in Trauer waren in der Nachkriegszeit nichts Besonderes. In „Weinen vor Glück“ erzählt er, wie ein Postkartengruß eines bei Stalingrad vermißten Soldaten wieder Sinn in das Leben einer jungen Frau bringt, wie sich ihre Trauer, die lange Last der Einsamkeit löst - diesmal in „Weinen vor Glück“. Oder er beschreibt die Freude, wenn endlich wieder Strom und Wasser aus den Leitungen fließen. Allmählich zieht wieder Normalität ein.

Über manchen Texten schwebt eine schöne Leichtigkeit. Da spöttelt er über die vom Reinlichkeitsdämon befallenen Frauen, die mit dem „entfesselten Staubtuch“ beim Frühjahrsputz alles durcheinander wirbeln, oder er würdigt die Berliner Eckkneipe als „philosophischen Ort“, wo die Theke das letzte Reservat der Männer ist. Oft teilt Urbanus satirische Seitenhiebe aus. So nimmt er in „Revolution am Briefkasten“ die politische Indifferenz der Bürger aufs Korn, die nicht wahrhaben wollen, daß sich das öffentliche Leben von Grund auf verändert hat, die nichts tun und dann aus dem Staunen nicht herauskommen, wenn es wieder einmal schiefgegangen ist. „So fallen bei uns die Revolutionen aus, die klärenden Gewitter. Und der Fortschritt lehnt am Rathaus und dreht Daumen.“ Solche Pointen, die schon Spruchweisheit haben, setzt Urbanus oft und überraschend. Aber zum Glück, stellt er tröstend fest, gibt es die Deutsche Post, die zu allen Zeiten nach jeder Umwälzung ihren Briefkästen eine andere Farbe gibt und so die Entwicklung farbig kommentiert. Diese „Tagesblätter“ sind geschliffene Texte, lebensklug und von sympathischer Selbstironie. Gelegentlich glaubt man beim Lesen, die prägnante Stimme Friedrich Lufts zu hören.

Den Auftakt des Buches bildet ein schöner, nachdenklicher Text über das Feuilleton. Er kann als Friedrich Lufts Credo gelten. „Wie gut, daß sich hin und wieder immer welche in unserer Sprache Zeit genommen haben, sich Zeit zu nehmen. Eckensteher des Alltags. Wie schön, daß sie sich Sorgen gemacht haben für andere. Selig am Herzen Gestoßene. Wie dankenswert, daß sie den anderen dann mit dreißig zwecklosen, aber sinnvollen Zeilen ein kleines Fenster aufgestoßen haben, Licht eingelassen haben in den täglichen Tag. Daß sie für Augenblicke uns den Himmel sehen ließen.“

Mit seinen Feuilletons hat Friedrich Luft in vielen Menschen ein Fenster aufgestoßen. Das macht auch den Reiz dieser Wiederentdeckung auf.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 04/01 (c) Edition Luisenstadt, 2001
www.berliner-lesezeichen.de

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