Eine Rezension von Waldtraut Lewin

Zuviel verlangt

Catherine Clément: Martin und Hannah
Roman.
Aus dem Französischen von Doris Heinemann.
Rowohlt Verlag, Berlin 2000, 380 S.

Der Ansatz ist rattenscharf. Da kommt die neunundsechzigjährige Hannah Arendt aus New York angedüst, um ihren Ex-Geliebten Martin Heidegger noch mal zu besuchen - so geschehen und historisch verbürgt für 1975 in Freiburg im Breisgau, vier Monate vor ihrem Tode. Sehen und sprechen kann und darf sie ihn aber nur mit Einverständnis seiner arisch und national gesinnten Gattin Elfride, die von der Liaison zwischen den beiden Epoche-Philosophen erst 1950 erfahren hat; Heidegger stiftete einen „Burgfrieden“ zwischen den beiden, den sie mit Küssen zu besiegeln gezwungen waren. Natürlich sind sie sich spinnefeind - die Legitime haßt die jüdische Mätresse, die Arendt verachtet die Frau, die nach ihrer Ansicht ihren geliebten Martin in die Arme der Nazis getrieben hat. Diesmal, o Wunder, läßt Elfride Hannah gleich zu Martin. Wieso auch nicht. Der große Denker ist weggetreten, ob depressiv, einfach nur absent oder am Rande zur Debilität, bleibt offen. Hannah hat keine Chance mehr bei ihm.

Das Sommergewitter, das sie im Haus der Heideggers überrascht, hält Hannah Arendt in der Küche der Gattin fest, bei Elfrides Kaffee und eigenen Zigaretten und allem, aber auch allem, was es an Ressentiments und Erinnerungen, an Vorwürfen und mehr oder weniger weit hergeholten Schuldzuweisungen gibt. Zwei Frauen rechnen ab, während das Objekt ehemaliger Begierden nicht mehr vernehmungsfähig ist - ein wirklich großer und ungemein komischer Entwurf.

Leider verlangt Catherine Clément ihrem Stoff zuviel ab - oder die falschen Sachen. Es hätte so schön sein können; bittere welthaltige Komödie à la Tabori oder Dario Fò. Die großen Dinge des Jahrhunderts am Küchentisch zwischen zwei Rivalinnen. Aber die Clément geht diesem Ansatz nicht nach. In ihrem (sehr genau recherchierten) Buch hüpft sie, hüpfen ihre Protagonistinnen durch die Zeitläufe, erinnern sich anhand einer hingeworfenen Bemerkung, einer Provokation der anderen immer wieder irgendwelcher Episoden der Vergangenheit, versuchen, das Gewirr von deutscher Schuld und jüdischem Umgang damit, von älterer und neuerer Geschichte zu durchleuchten und zu entwirren, schlittern hin und her auf der Skala unseres Jahrhunderts. Was dabei herauskommt, ist ein gewisser Überblick und Einblick in Heideggers Persönlichkeitsstruktur und seine Philosopheme - und das ist schon eine dankenswerte Sache. Elfride, die unbelehrbare „arische Xanthippe“, bleibt ein Klischee, und - und das ist nun wirklich seltsam - merkwürdig blaß, merkwürdig unbelebt bleibt auch Hannah Arendt, nun wirklich eine der aufregendsten, der widerspruchvollsten und lebendigsten Denkerinnen und Weiber unseres Jahrhunderts. Liegt's daran, daß sie in diesem Buch so sehr bereit ist, sich auf das Niveau der Küchenphilosophie Elfrides herabzubegeben? Oder - begibt sie sich nicht tief genug herab? Der skurrile Impetus des Ansatzes jedenfalls bleibt verschenkt, und das ist schade.

Ein Philosophenroman, ein Roman über Philosophiegeschichte und Zeitgeschichte - wen wird das interessieren? Wer wird diese feinen Beobachtungen, diese ziselierten Psychogramme, diese genaue Beschreibung von kulturhistorischen Details genießen mögen? Und es wäre doch so bitter nötig. Angesichts des haarsträubenden Mangels an Geschichtsbewußtsein und -kenntnissen, an Wissen um unsere geistige Herkunft, die uns die simpelste Fernseh-Quiz-Show enthüllt, hätten Bücher wie Cléments Roman eigentlich eine Vorzugsstellung in der Rezeption einzunehmen. Um so mehr ist zu bedauern, daß das Buch bei aller Feinheit und Genauigkeit, bei den paar grotesken Szenen zwischen den Frauen und dem „weggesackten“ Mann und den interessanten Episoden aus ihrer Vergangenheit sich so gar nicht entscheiden kann, was es nun sein will. Zeitreport im Romangewand, illustrierte Philosophiegeschichte, Tendenzschrift, Moralpredigt, Dreiecksstory oder Klamotte. Ich werde das Gefühl nicht los, daß die Autorin sich letztlich nicht entschließen konnte, und ich gebe gern zu, daß das auch kein leichtes Unterfangen gewesen wäre. So hat man leider das Gefühl, als würde jemand in den falschen Schuhen einherspazieren. Ob nun die Geschichtsphilosophin in den Trittchen der Gauklerin herumspaziert oder die Fabuliererin in den Stiefeln der Moralistin gestapft kommt, kann ich nicht so genau beurteilen. Aber leider stimmt was nicht. Bedauerlich bei dieser verrückten und anspruchsvollen Vorgabe. Ein Buch für besinnliche Stunden und für an Ethik und Moral interessierte Leser allemal. Bloß beides sind rare Vögel - die besinnlichen Stunden und diese Sorte Leser erst recht.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 04/01 (c) Edition Luisenstadt, 2001
www.berliner-lesezeichen.de

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