Eine Rezension von Hans-Rainer John

Am Ende der Kolonialzeit

Neil Blackmore: Der Himmel über Damaskus
Roman.
Aus dem Englischen von Matthias Müller.
Aufbau-Verlag, Berlin 2000, 272 S.

Neil Blackmore (30), geboren in Wales, Studium in Leeds, wohnhaft in London, ist die junge Hoffnung der englischen Literatur. Im Vorjahr hatte er mit dem Roman Soho Blues sein beeindruckendes Debüt, jetzt liegt sein zweites Buch vor. Auch Der Himmel über Damaskus ist durchaus gelungen. Eine überschaubare Geschichte wird klar und schnörkellos erzählt, in einer gepflegten Sprache. Es gibt eine Dreiecksgeschichte, eine interessante Konstellation, dazu eine Liebeserklärung an eine der ältesten Städte der Welt und einen Epilog auf die Kolonialzeit. Herausgekommen ist ein gediegenes Buch.

Und doch ist es kein aufregendes Buch, das den Stoff wirklich ausschöpft. Die Beziehungsgeschichte ist nicht tief genug psychologisch ausgelotet, und die anderen Bestandteile sind nicht organisch mit ihr verbunden, sondern mehr Hintergrund, Zugabe. Es fehlt an Spannung und Sinnlichkeit, Erschütterung bleibt aus. Der Autor hat ein bißchen mit spitzer Feder geschrieben, gewählt, aber distanziert, kalt; er gebraucht viele Adjektive, aber seine Figuren erhalten trotzdem nicht immer Plastizität. Die Sprache ist zwar glatt, aber auch flach.

Im Sommer 1937 lernt Paul Esmond, ein Beamter, der aus kleinen Verhältnissen kommt, die junge, schöne Aristokratin Marina Russell kennen und lieben. Da sie seine Gefühle erwidert, heiraten beide noch im gleichen Jahr - gegen den Widerstand von Marinas Eltern, die in der Verbindung eine Mesalliance sehen. Paul, der mit der raschen Heirat auch seine homoerotischen Neigungen zu überwinden hofft, steigt, auch dank der repräsentablen Frau, im Außenministerium auf. Der Krieg trennt das Ehepaar auf Jahre. 1945 gibt es eine Wiedervereinigung in Damaskus, wo Paul ein wichtiges diplomatisches Amt bekleidet und seiner Frau ein weit luxuriöseres Leben bieten kann als in England. Das Ehepaar, charmant, geistreich und gutaussehend, steht in Damaskus allseits beneidet im Mittelpunkt der Gesellschaft. Aber Paul vermag nach wie vor seine Frau, die er im übrigen innig liebt, im Bett nicht zu befriedigen, und nach wie vor zieht ihn seine Sexualität zu Männern. So kommt es zu einer Liaison mit dem jungen Sulayman Achmed, der in der Botschaft arbeitet. Marina erfährt davon und fordert die Beendigung der Affäre. Paul verspricht es, serviert Sulayman kalt lächelnd ab, wird aber bald darauf rückfällig. Diesmal kommt sein neidischer Stellvertreter dahinter und fordert Pauls Posten als Preis für sein Schweigen. Marina trennt sich von Paul, Paul muß demissionieren und Sulayman wiederum verabschieden. Eine Freundin bestimmt Marina am Ende, ihre zerstörte Ehe aufrechtzuerhalten, denn eine geschiedene Frau sei hier wie zu Hause gesellschaftlich tot. Marina und Paul fliegen nach London zurück.

Hintergrund ist das Leben in Damaskus am Ende der Kolonialzeit. Die Briten sind Anfang 1945 ins Land gekommen, um den in die Bredouille geratenen Franzosen beizustehen. Aber auch ihr Kredit, einst erworben durch die Verteidigung Syriens gegen die Türken, ist bald verspielt und die Unabhängigkeitsbewegung unaufhaltsam. Ende 1945 erzwingt sie den Abzug der europäischen Truppen, und Syrien wird endlich selbständig und frei. Eine Epoche geht zu Ende. Das alles wird lebendig und überzeugend erzählt, aber es existiert relativ unabhängig von den handelnden Personen. Die Stadt Damaskus wird zwar wortreich geschildert und gewürdigt, ein Blick ins Land aber kaum gewährt. Nur zu einem Ausflug nach Fiq am See Genezareth verlassen Paul und Marina einmal die Stadt, aber auch diese Gelegenheit wird kaum genutzt, das Land mit den unglaublichen Schönheiten und Kontrasten einzubeziehen.

Daß der Dreieckskonflikt den Leser nicht allzu tief erschüttert, liegt wohl daran, daß Pauls homoerotische Veranlagung nicht nur von Marina, sondern auch vom Autor nicht als genbedingt anerkannt, sondern als Fauxpas betrachtet wird, als gedankenlose Verirrung, als vorübergehende Untreue, die man wie einen Bordellbesuch einfach abstellen kann. Es geht darum, daß sich ein Mensch sittlich benehmen soll, und nicht um die Tragödie eines Menschen, der ein anderes Leben führen oder vortäuschen soll, als er seiner Veranlagung nach führen kann und mag. Auch wird die Beziehung zu Sulayman nicht als einmalig gefühls-tief und ob geistiger Übereinstimmung als wirklich unentbehrlich geschildert, sondern mehr als sexuelle Dienstleistung. Für Sulayman ist vor allem das gesellschaftliche Prestige wichtig, das er durch die Beziehung mit Paul gewinnt oder verliert. Der Verkehr ist für ihn wohl eine der üblichen Abwechslungen, ehe er eine angesehene Frau heiratet, der er längst versprochen ist, eine Familie gründet und seinen beruflichen Aufstieg beginnt. Er wollte bloß noch ein wenig Spaß haben, eine kleine Affäre, bevor der langsame Tod beginnt, heißt es im Text. So ist eigentlich von Anfang an jede allzu tragische Note verbannt und Pauls Handlungsweise der anderer Weißer gleichgesetzt, die im Nahen Osten einfach zuviel Macht, zu viel Geld und zuviel Zeit haben und deren Uhr nun zu Recht abgelaufen ist ...

Marina ist die einzige klar Position beziehende Frau, was sie unternimmt, ist logisch in jedem Detail; und doch ist sie hartherzig und uneinsichtig, wenn sie Forderungen stellt, die für Paul, wie sie nach Alter und Lebenserfahrung erkennen müßte, seiner Natur nach unerfüllbar sind. Im übrigen verwundert, wie schnell und übergangslos aus dem charmanten, überlegenen, eleganten, legeren Paul eine hilflose und stotternde Person wird, unfähig zu einer klaren Entscheidung, und aus dem unterwürfigen, bescheidenen, vom Vater gedemütigten Sulayman ein stolzer, selbstbewußter, sich seines Wertes bewußter Araber. Am interessantesten sind einige Nebenfiguren, wie zum Beispiel Diniz Achmed, die Mutter Sulaymans, die plötzlich vom jahrelangen Krankenbett aufsteht und das Leben wieder in die Hand nimmt ...


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 03/01 (c) Edition Luisenstadt, 2001
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