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„Die Dresdner ... waren
neugierig auf mich“ -

Interview mit Christoph Geiser, dem Dresdner Stadtschreiber 2000

Es sind wenige Städte im Osten Deutschlands, welche sich einen eigenen literarischen „Schreiber“ leisten (können). Die Elbflorenz genannte sächsische Landeshauptstadt gehört dazu. Sie richtete vor wenigen Jahren eine Stadtschreiberstelle ein auf Initiative der „AnStiftung“, einem lockeren Zusammenschluß von kritischen Kulturschaffenden, der noch bis Jahresende vor allem von dem Kulturarbeiter, Kabarettisten und Verleger Peter Grohmann getragen wurde (der Wahl-Dresdner geht dann nach sieben Jahren zurück nach Stuttgart, „verletzt im Sinne von mißachtet“, wie er der „Sächsischen Zeitung“ gegenüber äußerte). Finanziert wird der Stadtschreiber von der Kulturstiftung der Stadtsparkasse Dresden, um die organisatorischen Belange (Lesungen, Pressearbeit, Kontaktvermittlung etc.) kümmert sich das Kulturamt der Stadt.

Nun war für das Jahr 2000 der 1949 in Bern geborene Christoph Geiser Stadtschreiber von Dresden. Mit ihm wurde zum ersten mal ein nicht aus Deutschland stammender Autor Inhaber dieser reizvollen Stelle. Hinzu kommt, daß Geiser, von dem auch einige Texte in der DDR erschienenen, seit den 90er Jahren offen über schwule Sexualität schreibt.

Es gab also viel zu fragen kurz vor seiner Abreise. Und so entstand das nachfolgende, im August schriftlich geführte Interview - über Dresden und seine Stadtschreiberstelle, über Geisers von der Stadt Bern finanzierten Stipendienaufenthalt in New York (1998), über männliche Sexualität und verschiedenes mehr.

Was hat Sie bei Ihrer Bewerbung für die Stelle des Dresdner Stadtschreibers besonders gereizt? War es die Stadt, deren geographische Nähe zu Polen und Tschechien oder war es ihre jüngere politisch-historische Vergangenheit, sprich die Zugehörigkeit zur DDR, in der Ihre Texte ja ebenfalls veröffentlicht wurden?

Als literarischer Autor ist man ja, beim gegenwärtig un-literarischen Zustand des Verlagswesens und des Buchhandels, auf Stipendien und Werkbeiträge aller Art angewiesen. Nach Dresden aber wollte ich sicher nicht einfach des Stipendiums wegen ... Dresden ist eine der großen europäischen Kulturstädte wie Paris, Rom oder München, umgeben von einer Aura aus Kultur und Geschichte; zugleich aber von der Geschichte beschädigt, von der Politik lange Zeit ins Abseits gedrängt. Die Widersprüche und Brüche zwischen landschaftlicher und kultureller Pracht einerseits und sichtbarer (und spürbarer) Beschädigung andererseits, das Nebeneinander von Narben und Wunden und residentiellem Prunk und Glanz haben mich schon bei meinem ersten kurzen Besuch 1995 für diese Stadt eingenommen. Überdies wollte ich nach Ostdeutschland schon lange und für länger - ich hatte mich auch schon mal quasi versehentlich für das Leipziger Literaturstipendium beworben, für das ich mich aus Auswärtiger gar nicht bewerben kann-, aber nicht wegen der Nähe und Verbindungen zu den osteuropäischen Staaten. Ich habe mit Osteuropa kein Problem, folglich wäre das Interesse rein touristisch. Ich meine, diese Staaten sind nun endlich ihre Besatzer, egal welcher Art, los - die Auseinandersetzung mit diesen historischen Wunden ist nicht (vordringlich) meine Angelegenheit. Aber ich wollte in die ehemalige, ehemals sogenannte „DDR“ zurück, mit deren Geschichte und Schicksal meine zumindest literarische und politische Biographie verknüpft ist. Was bleibt? - vom Sozialismus in Deutschland? - wer fragte sich's nicht?! Es ist schließlich mein Sprach-Raum und somit mein primärer Kultur-Raum. Den vielfältigen Ambivalenzen, Resistenzen und Renitenzen, den örtlichen und meinen eigenen dem Örtlichen gegenüber, literarisch nachzuspüren vor dem Hintergrund europäischer (Kultur-)Geschichte - all diesen Verwerfungen und Brüchen! und: mit Fingerspitzengefühl! -, bin ich nach Dresden gekommen.

Bei Ihrer offiziellen Begrüßung am 3. April 2000 „gestand“ der Kulturdezernent, daß er am Wochenende zuvor erst einmal alle Ihre Werke gelesen habe. Denken Sie, daß alle Dresdner Verantwortlichen wußten, auf wen sie sich da einlassen, d. h. daß Sie seit Mitte der 80er Jahre nicht mehr „nur“ ein netter, kämpferischer Schriftsteller aus der Schweiz sind, der gegen „das Bürgerliche“ (seiner Herkunft) angeht? Inwieweit haben Sie diesbezüglich auf die Lektüre Ihrer Texte „vertraut“?

Ich vertraue immer, und primär der literarischen Qualität meiner Texte, und zu verbergen habe ich nichts. Der Kulturdezernent hat mir übrigens nach der Begrüßungsveranstaltung die gleiche Frage gestellt, die Sie mir da stellen, und zwar lachend, beinahe, als belustige ihn die schiere Kühnheit dieser Wahl. Ich denke nun zwar nicht gerade, daß Herr Oberbürgermeister Wagner mich liest, der hat andere Sorgen. Aber der Jury lagen auch meine zuletzt erschienenen Bücher vor. Die Dresdner mögen konservativ sein und auf ihre (sanfte) Art eigensinnig, das sind sie gewiß, aber engstirnig oder engherzig sind sie nicht, das würde nicht zu ihrer Liebenswürdigkeit passen. Schließlich haben sie ja auch ihren Elbfluß nicht in Betondämme gezwängt und lassen ihn durch die Gegend schlendern wie er will; im Falle eines Hochwassers vertrauen sie dann auf die sanfte Absorbtionskraft der Elbwiesen. Im übrigen haben sie doch eine gewisse Vorliebe für das Besondere, Spezielle, wie etwa die hundertjährigen Fliederbäumchen im Garten von Schloß Pillnitz, die's nur da gibt, oder die berühmte Schwebebahn bei Loschwitz, die einzige ihrer Art ...

Wer freilich hier etwas bewegen will, sei's von Berufs wegen oder aus Berufung, der kann sich wohl leicht die Stirn wundscheuern am örtlichen Elbsandstein. Der Kulturdezernent verläßt ja nach neun Jahren Dresden, traurig, wie mir scheint, und zum Bedauern vieler, und auch Peter Grohmann kehrt nach sieben Jahren, explizit enttäuscht, nach Stuttgart zurück. Ich könnte mir nun vorstellen, daß man sich vielleicht auch von mir ein wenig sanfte Erosion des allzu verklumpten Gesteins erhofft hat ... Doch dafür bedürfte es einer längeren Anwesenheit. Erst allmählich lerne ich ja die Kraftfelder der lokalen Geologie kennen.

Wie eingebunden in das offizielle Leben einer Stadt ist man als ihr Stadtschreiber? Gibt es Pflichten und Verpflichtungen, wenn ja, welche; wenn nein, welche würden Sie sich „wünschen“?

Es gibt jede Menge von Angeboten, am Kulturleben der Stadt teilzunehmen, „verpflichtet“ ist man aber nur zu einer Antritts- und Abschiedslesung, was ich aber nicht als Pflicht empfinde, sondern als Selbstverständlichkeit. Ich habe hier versucht, in jeder Hinsicht so präsent wie möglich zu sein - sonst hätte ich ja gleich in Bern bleiben können. Dort lebe ich nämlich längst exterritorial, wie unter einer Tarnkappe. Zur Schweiz fällt mir nichts mehr ein ... zu Dresden aber mittlerweile viel zu viel, wie zu New York - auf ganz andere Art - auch, ganz zu schweigen vom Ozean, den ich ja gequert habe ... es fehlt nur die Zeit. Sie fehlt schmerzlich, wie das nötige Kleingeld auch.

Inwieweit ändert sich Ihr Arbeitsrhythmus bei Stipendienaufenthalten oder der jetzigen Stadtschreiberstelle? Sehen Sie sich bei solchen Aufenthalten zu verstärktem, intensive(re)m Arbeiten („Produzieren“) gezwungen? Oder anders gefragt: Bewerben Sie sich auch, um sich zum Beenden von Altem, Mitgebrachtem bzw. zum Aufnehmen und Erschreiben von Neuem zu „zwingen“?

Ich muß mich zum Arbeiten nicht zwingen, zum Produzieren nicht, nicht zum Beenden von Altem, nicht zum Erschreiben von Neuem. Zwingen muß ich mich höchstens, und egal wo, die depressiv bedingten Durchhänger des Tages und die mittlerweile altersbedingte physische Trägheit des Körpers zu überwinden. Während ich in New York bald vor der Unwirklichkeit des Eilands Manhattan und der manifesten Unzivilisiertheit seiner Bewohner kapituliert habe und pausenlos schreibend in meinem Kellerloch mit Katze zu überleben versuchte, habe ich in Dresden versucht, ein Gleichgewicht zu finden zwischen der mir selbstverständlichen Arbeit am Schreibtisch und dem für mich ungewöhnlich starken Bedürfnis, die Stadt und ihre Eigentümlichkeiten, samt der weitläufigen Umgebung von großer landschaftlicher Schönheit, zu besichtigen und kennenzulernen. Die lieben Dresdner sagen einem ja beständig, was man alles noch sehen könnte und noch nicht gesehen hat ... Ich mache mir jetzt, da mir noch ein Monat Dresden bleibt, höchstens den Vorwurf, daß mich die reine Trägheit des Körpers, nicht des Geistes, daran gehindert hat, alle Angebote, die mir die Stadt, ihre Umgebung, ihre Bewohner gemacht haben, wahrzunehmen, und ich letzten Endes wieder viel zu viel geschrieben habe, was dann in der Schweiz womöglich wieder niemand lesen will ... dort will man, scheint's - wie freilich vielerorts-, nur noch Spaß-Vögel zwitschern hören, oder dann, noch immer, die political correctness der (inner-)schweizerischen Art.

Standardfrage, aber unerläßlich: Woran arbeiten Sie gerade? Sind es mitgebrachte Ideen, Arbeiten oder ist es Neues? Wird es einen oder mehrere an Dresden gebundene Texte geben? Wenn ja, könnten Sie vielleicht etwas darüber verraten?

Nach Erscheinen meiner „Baumeister“ bin ich im Januar 99 auf Seefahrt gegangen, nach New York, mit Monsieur de Montaigne im Gepäck und dem vagen Projekt im Hinterkopf, in meinem fünfzigsten Jahr Essais autobiographiques zu schreiben und dabei die Form des Essays sowie das Konzept „Autobiographie“, Biographie überhaupt, zu dekonstruieren. Die überwältigende Erfahrung des Ozeans aber einerseits, meine quasi physikalisch wahrhaft üerwältigende Wohnsituation während sechs Monaten in Down Town Manhattan - sukzessive einstürzender Altbau - erforderten rasches literarisches Handeln, so fehlte mir die Geduld für Montaignes Technik der kunstvollen Abschweifung. Ich habe statt dessen eine von mir so genannte Cluster-Technik entwickelt, heißt: Ausgehend von einem zufälligen Detail Außenwahrnehmung, türme ich ein thematisches, motivisches, syntaktisches Gebäude auf, bis das Detail entweder unsichtbar oder monströs geworden ist. So sind seit meinem New-York-Aufenthalt bis jetzt etwa ein Dutzend Einzeltexte von unterschiedlichem Umfang entstanden, die zwanglos miteinander vernetzt sind (motivisch, thematisch, stilistisch) und die alle unmittelbar von meiner Außenwahrnehmung handeln, selbstverständlich vor dem Hintergrund meiner sich seit Jahren konstant weiterentwickelnden und verändernden inneren Themen. Die letzten drei Texte habe ich hier geschrieben, und so handeln sie - zumindest zum Teil - von meiner Wahrnehmung Dresdens. Das Ganze nenne ich bei mir, vorerst, „Passagen“ - und es sind, thematisch, im Wesentlichen, immer Passagen zwischen der Alten Welt und der Neuen, zwischen Geschichte und Geschichtslosigkeit, zwischen dem Wunsch zu vergessen und dem Zwang zu erinnern, dem Wunsch, Verschollner zu sein auf den Weltmeeren und dem Bedürfnis nach (kultureller) Verankerung. Zwischen konservativem Gestus und innovativem Ungestüm, diesem rhetorischen Pathos des Wegräumens ...

Nach Abschluß der Baumeister, diesem endlosen Gerede der inneren Stoffe, hatte ich kurzum das starke Bedürfnis, wieder unmittelbar auf wahrgenommene Realität literarisch zu reagieren. Da es in Bern für mich nichts mehr wahrzunehmen gibt, außer, allenfalls, den spezifisch bernischen Formen des Konjunktivs, mußte ich auf große Reise gehen.

Wird das sprachkritische, sprachspielerische Moment, welches die „Baumeister“ kennzeichnete und welches in den von Ihnen auf der Dresdner Begrüßungsveranstaltung gelesenen, in New York entstandenen „netten“, weil nicht provozierenden Texten fehlte, in den hier entstehenden Arbeiten wiederzufinden sein oder hat es mit den „Baumeistern“ seinen Höhepunkt und damit - vorläufigen - Abschluß gefunden?

Der im Dresdner Kulturrathaus gelesene Text ist überhaupt nicht „nett“, sondern eine ironisch-rhetorische Rhapsodie des Scheiterns. Ich mag, nebenbei sei's gesagt, auch nicht a tout prix der fliegende „agent provocateur“ vom Dienst sein ... Wie in den „Baumeistern“ geht es mir auch in den neuen Texten darum, der Sprache den Boden unter den Füßen wegzuziehen, so daß Sprecher & Leser in die Abgründe zwischen Information & Redundanz stürzen. Heißt: Ich versuche nach wie vor durch einen ironischen Umgang mit meinem Sprachmaterial, sprachliche Aussagen zu zersetzen; die Sprache als Informationsträger zu dekonstruieren. Zur Zersetzung des Wortmaterials, wie in den „Baumeistern“, kommt nun in den neuen Texten vor allem auch eine Zersetzung der Syntax hinzu - das sind eben meine syntaktischen Cluster. Kunstvolle Satz-Monster, die die Maschinerie der grammatischen Bezüge ad absurdum treiben, so daß sich jede Aussage in der Grammatik verstrickt und womöglich verliert. Da ich es ja nun aber vermehrt auch wieder mit Wirklichkeit zu tun habe, mit Außenwahrnehmung eben, stößt meine sprachliche Dekonstruk-tionsmaschine beständig auf den Widerstand von Realitätstrümmern, was die Maschine selbst dekonstruiert, zumindest beschädigt, als wär's Elb-Sand-Stein im Getriebe ... Wer stärker ist am Ende, meine Sprachmaschine oder die Wirklichkeit, wird dann, zu gegebener Zeit, die Maschinerie der Rezeptionsästhetik zu Tage fördern.

Geht es um Homosexualität und Literatur bzw. um Homosexualität in der Literatur, so stößt man selbstverständlich immer wieder auf Ihren Namen. Wird es Texte über oder in der schwulen „Szene“ Ihrer Gaststadt geben? Oder „verlangt“ es die Dankbarkeit, hierüber zu schweigen?

Männliche Sexualität, genauer: die Wahrnehmung und/oder Rezeption von Personen männlichen Geschlechts als (potentielle) Sexual-Objekte und/oder -Subjekte, ist in all meinen Büchern präsent, und so wird's auch im neuen sein. In der kommerziellen Dresdner Schwulen-Szene, soweit vorhanden, habe ich mich wenig bis gar nicht umgetan, weil ich nicht mehr so in Bars rumhängen mag und mir für die Disco zu alt bin. Eine meiner ersten und bisher interessantesten Veranstaltungen hier aber war ein Diskussionsabend im schwulen Literatursalon von Gerede e. V. Eine Schwulengruppe von circa zwanzig Männern jeden Alters, die sich regelmäßig mit Literatur befaßt, ist mir noch in keiner anderen Stadt begegnet - ist vielleicht auch typisch für Dresden. Literarisch verwertbar allerdings, für meine Sprachmaschine, ist hier wohl nicht die Schwulenszene, viel eher die alltägliche, augenfällige Anmut der Söhne Sachsens, in der Straßenbahn zum Beispiel. So ist in allen drei Texten, die in Dresden entstanden sind, die Straßenbahnlinie 7 ein fester Topos geworden.

Haben Sie in den Dresdner Lesungen getrennt zwischen „offiziellen“ Lesungen und Lesungen in der schwulen „Szene“? Ich stelle die Frage, weil mir aufgefallen ist, daß Sie bei offiziellen Lesungen Ihre Texte bzw. Textstellen so auswählen, daß Sie das Publikum - sagen wir mal -nicht „erschrecken“, „verunsichern“. Ist eine solche Trennung nach wie vor notwendig oder wäre es nicht besser, auch bei solchen Veranstaltungen „offen“ zu lesen, zum einen, um noch immer vorhandene Barrieren und (ungewollte) Trennungen aufzubrechen, zum anderen, um denen zu „helfen“, die sich im Coming-out befinden (Stichwort: „Geburtshelfer“)?

Ich bin weder Geburtshelfer, noch Psychotherapeut, noch Mitglied einer bekennenden Kirche oder Sekte, sondern ein literarischer Autor. Mein Bücher sind Angebote - durchaus auch Gesprächsangebote. Man kann mit mir über jeden darin vorkommenden und/oder dargestellten Gegenstand, beinah jederzeit, diskutieren. Wenn ich vor Publikum lese - und ich habe in Dresden viel öffentlich vorgelesen, u. a. auch in der evangelischen Buchhandlung am Ort, vor vollbesetztem Laden und aus den „Baumeistern“ -, dann will ich nicht einer Mauer aus Schweigen begegnen. Ich versuche bei Lesungen immer, egal wo und vor wem, den Zuhörern goldene Brücken zu bauen zu einem Gespräch über das Gelesene und damit zu einem besseren Verständnis des Gelesenen. Dabei muß ich von meinen Beständen ausgehen, nicht von meinen Parolen, heißt, von meinem real existierenden Publikum (ich will's ja nicht abwickeln) und von seinen Voraussetzungen. Man kann dabei ziemlich weit gehen. Und die „Baumeister“, samt einiger durchaus einschlägiger Stellen, in einer deklariert christlichen Buchhandlung vorzustellen heißt, übrigens nicht nur wegen der schwulen Thematik, ziemlich weit gegangen zu sein ... Die Diskussion, und es war eine angeregte, drehte sich dann aber doch einerseits um literarische Bezüge und Connotationen (meine liebste Gesprächsebene, zugegeben), andererseits, quasi zusammenhanglos, um meine Eindrücke in und von Dresden, im besonderen und im allgemeinen. Die Dresdner, vornehmlich die ältere Generation, möchten doch von ihrem Stadtschreiber vor allem wissen, was er zu Dresden zu sagen hat - und wär's auch was Schwules, ich glaube, es störte sie nicht. Übrigens, vergessen wir's nicht!, auch Schwulengruppen in der DDR fanden ihre Nischen unterm ausladenden Dach der evangelischen Kirche, wie nistende Schwalben, zum Schutz vor der herrschenden sozialistischen Kleinbürgermoral.

Kurzum, ich glaube nicht, daß man das Thema „Homosexualität“ in einem literarischen Kontext psychologisch und/oder politisch sinnvoll diskutieren kann. Man kann höchstens darüber diskutieren, wie man's diskutiert - heißt: wie man literarisch davon spricht; und das bespricht man doch wohl besser mit denen, die wenigstens wissen, wovon man spricht. Denen, die's nicht wissen, zu sagen, wie's (wirklich) ist, bin ich nicht der Mann - jeder journalistische Ansatz von Literatur ist mir mittlerweile fremd; nicht die Wirklichkeit ist mein Thema, sondern die literarischen Strategien im Umgang damit.

Das Gespräch führte Sibille Tröml


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 02/01 (c) Edition Luisenstadt, 2001
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