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In der „Russendisko“ ist was los

Ein Gespräch mit Wladimir Kaminer
übers Schreiben und über Träume

Mittwochabend im „Schlot“ in der Chausseestraße. Gesprächstermin mit Wladimir Kaminer. Er ist sowieso hier, wie immer zum „Mittwochsfazit“ - einer kabarettistischen Dreierbande vom Schlage der Lesebühnen. Vorm Auftritt hat er ein Stündchen Zeit, macht aber einen etwas abwesenden Eindruck. Über Fragen nach seinem Leben vor 1990/91 wundert er sich. Dann erzählt er aber doch eine ganze Menge: von der Kindheit, dem Rausschmiß aus der Schule, über die Organisation von Underground-Konzerten und der ziemlich gemütlichen Armeezeit („Glück gehabt“), vom Telefon-Hobby des Vaters. Der wählte x-beliebige Zahlen und ließ sich vom Ergebnis überraschen. So kam die Familie manchmal zu neuen Freunden, zum Beispiel zu einer Schauspielerin, mit deren Hilfe Wladimir Kaminer sein Theaterleben begann - Ausbildung zum Toningenieur für Theater und Rundfunk, Dramaturgiestudium am Moskauer Theaterinstitut, schließlich praktische Theaterarbeit. Damit ist seit 1998 allerdings Schluß: „Das Problem beim Theater: sehr viel Leistung und Aufwand für vergleichsweise wenig Ergebnisse.“ Also Schreiben.

Ist das wichtig für Sie?

„Ich nehme Schreiben nicht ernst.“

Warum schreiben Sie dann?

„Aus Spaß. Es ist meine Art, mit dem Leben klarzukommen.“

Der Mann ist schwer beschäftigt. Texte für die „Berliner Seiten“ der FAZ, eine Kolumne in der taz, eine eigene Sendung beim SFB „Wladimirs Welt“, die von ihm organisierte „Russendisko“ im Kaffee Burger und seit neuestem eine Lesung nach der anderen - Promotion für sein erstes Buch Russendisko, Geschichten aus der Deutschelei in den Zeiten des sogenannten Aufbruchs. Schlitzohrig und genau von einem erzählt, der dabei sein will, wenn der Kuchen gerührt wird. Russendisko ist ein in Form gebrachter Satireausbruch von einem, der die Rempeleien am Napf kennt und nun diese Vorgänge sowie seine (und seiner Freunde) unentwegte Mühen schildert, sich die wundersamen Kräfte der freien Marktwirtschaft nutzbar zu machen. Da denkt man doch gleich an die Jagd nach der Million, die Satire von Ilf/Petrow über die sowjetische Gesellschaft in der NÖP-Zeit.

O, du heilige Prosperität - erscheine und gib uns, die wir für dich schuften, Nüsse verkaufen, Kneipen gründen, Computergeschäfte machen, Scheinehen eingehen, Deutsch lernen auf sonderbare Weise - gib uns also Erfolg und erhalte so unseren Glauben. Oder wir machen trotzdem weiter. Darum geht's in Russendisko, um anderes natürlich auch und um Begebenheiten in „unserer Küche“. Die kommt immer wieder vor und ist ein prima Umschlaghafen für die bizarren, komischen, chaotischen Vorfälle im Leben der zumeist jungen Russen auf dem Traumschiff Deutschland.

Zehn Jahre ist der 33jährige Kaminer an Bord, hat die rauhen Winde fast überstanden und genießt jetzt die leichte Brise des Erfolgs. Ein Moskauer in Berlin. Das hat einige Vorteile, vor allem aber den Vorzug, daß der Blick scharf, die Sprache nüchtern, die Betrachtungsweise erfreulich unsentimental ist. Ein Schreibtalent mit hoch auflösendem Wirklichkeits-Scanner, mit einer extrafeinen Komik-Software. Da wird selbst so was Schlichtes wie der „Bahnhof Lichtenberg“ zu einer Lachparade, weil alles stimmt: die umstandslosen marktwirtschaftlichen Aktivitäten der Neuankömmlinge, die ortsübliche Szenerie mit illegalen Händlern, Kontrollorganen, verwirrten Ausländern und den zum Abzocken angerückten „Drückerkolonnen des Herrn“ -, es gerät ganz nebenbei zu einer zuverlässigen Zeit-Auskunft anno 1991. Diese wie auch andere Geschichten fallen in die Rubrik „liebevolle Ironie“, falls es so was gibt. Wladimir Kaminer kennt seine Pappenheimer und die Tücken des russisch-jüdischen Auswandererlebens. Von den Hoffnungen und Unbekümmertheiten lebt auch er und ist, glücklicherweise, selbstbewußt genug, die einschlägigen Schliche und Tricks zur Erlangung der „Mitbürger“-Position in sein Geschichten-Puzzle hineinzunehmen. Ja, in der „Russendisko“ ist wirklich was los. Manches scheint belanglos (einiges ist es) entpuppt sich aber als illusionslos - und ist am Ende hoffnungslos ... menschenfreundlich. Da fängt dann auch das Lachen an, und man begreift: Wir sind nicht anders (oder nur ein bißchen), und besser schon gar nicht. Wurde aber auch langsam Zeit.

Außerdem bringen gerade sie Leben in die Berliner Kulturbude. Und über allem liegt ein Hauch der Verrücktheit, wie beim „Mädchen mit der Maus im Kopf“ oder der „Frau, die allen das Leben schenkt“ oder wie in den „Neuen Jobs“.

Jobs und Kohle sind natürlich ein thematischer Dauerbrenner, schließlich muß man von irgendwas leben. So stiegen viele der in Berlin lebenden Russen, „sonst perfekte Kandidaten für Langzeitarbeitslosigkeit“, ins Filmgeschäft ein und beim „Stalingrad“-Boom in die Schützengräben, um das zu spielen, was für ihre Großväter tödlicher Ernst war. Echte Russen für die europaweit niedrigsten Statistenlöhne im mit 180 Millionen Mark teursten in Europa gedrehten Film. Wer führt da wen vor? Mit so einer Frage muß man Wladimir Kaminer nicht kommen, er beschreibt nur den ganz normalen Wahnsinn des Alltags.

Finden oder erfinden Sie Ihre Geschichten?

„Das ist alles wahr, was ich schreibe. Alles passiert, ich erfinde nichts.“ Wozu auch - das Leben ist der Erfinder und Wladimir Kaminer erzählt die Sachen eben weiter. Auf deutsch, erfolgreich gelernt aus dem russischen Lehrbuch Deutsches Deutsch zum Selberlernen von 1991. In „Deutschunterricht“ sind Karl Marx, Genosse Petrow und der Autor richtig glückliche Menschen.

In welcher Sprache träumen Sie?

„Deutsche Träume in deutsch. Komische Sache manchmal: Neulich hat meine Tochter das Handelsregister der „Berliner Zeitung“ gelesen. Merkwürdig. Meine russischen Träume sind natürlich in russisch. Ich fahre, fliege und stehe irgendwo in einer Schlange, um Fahrkarten zu tauschen.“

Möglicherweise ist dieser Traum eine Spätfolge früherer Emigrationswünsche. Weg aus Rußland - d a s Thema der Jungs im Foyer des Moskauer „Kinotheaters des wiederholten Films“. Schließlich fühlten sich alle verfolgt, „die Älteren von der Polizei, die Jüngeren von den Eltern“.

Wie war Ihr Leben in der Sowjetunion?

„Das war schön. Wie jede Jugend eine schöne Zeit ist. In meiner Erinnerung ist das alles sehr lustig. Ich bin ja in einem Jubiläumsjahr geboren - 1967 war der 50. Jahrestag der Oktoberrevolution und ich weiß, daß wir schon im Kindergarten von Jubiläum zu Jubiläum lebten. Diese Probleme wie jetzt im freien Kapitalismus hatten wir ja nicht. Das war ein durch und durch verstaatlichtes Leben.“

Schreiben Sie auch über diese Zeit?

„Ja, in einem Roman, Militärmusik, geht es um das Leben in den 80er Jahren.“

Nochmal die Frage: Was ist Schreiben für Sie?

„Ist wie Kochen, man kann damit viel erreichen, zum Beispiel die Familie versorgen. Experimentieren, Spaß haben, unaufdringliche Botschaften in die Welt setzen.“

Geistige Nahrung, gewissermaßen?

„Ja, aber unaufdringlich.“

Was zum Beispiel?

„Ich wasch alle Ausländer sauber. Ich finde, daß nicht alle Menschen geliebt werden müssen, aber toleriert. Das auf jeden Fall.“

Was lieben Sie an Rußland, und was an Deutschland?

„An Rußland die Literatur der 30er Jahre. Und an Deutschland ... die jungen Autoren“.

Das soll ich Ihnen glauben?

„Ja, natürlich. Ich finde die wunderbar. Warum soll ich schwindeln? Ich habe eine Anthologie gemacht, Frische Goldjungen. Das Buch kommt im nächsten Jahr heraus, im Frühjahr, bei Kiepenheuer & Witsch.“

Wo findet man noch mehr über Sie, von Ihnen?

„Unter www.Russendisko.de.“

Dann danke für das Gespräch und weiterhin Erfolg für Sie beim „Kochen“.

Burga Kalinowski

Berliner LeseZeichen, Ausgabe 10/00 (c) Edition Luisenstadt, 2000
www.berliner-lesezeichen.de

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