Analysen . Berichte . Gespräche . Essays


Die Welt als Taubenschlag
von Angebot und Nachfrage

Im Gespräch mit Kathrin Röggla über ihr Buch „Irres Wetter“

Kathrin Röggla, knapp dreißig, bisher drei Bücher: Niemand lacht rückwärts (Prosastücke, 1995), „Abrauschen“ (Roman, 1997), Irres Wetter, ein Band mit Kurzgeschichten, der im Frühjahr dieses Jahres erschien. Alle drei Veröffentlichungen von der Literaturkritik hochgerühmt, vordere Plätze auf Bestsellerlisten, Auszeichnungen, Förderpreise. Wenn sie so zu Beginn einer Lesung vorgestellt wird, winkt sie meist ab. Sie kommt sich dann vorgeführt vor, wie „ein Mastochse“, sagt sie belustigt im melodiösen, liebenswürdigen österreichischen Dialekt. „Sicher, es wäre kokett zu sagen, Erfolg sei nicht wichtig. Jeder Autor freut sich natürlich, wenn die Leute seine Bücher kaufen.“ Aber mehr als der institutionelle Erfolg zählen für sie die Reaktionen aus dem Umfeld, Begegnungen, wenn viele Leute zu den Lesungen kommen, wenn man spürt, „etwas ist rübergekommen“. So geschehen nach der Sendung des Hörspiels „Selbstläufer“, zu dem sie euphorische Zuschriften erhielt. Jetzt haben fast alle Radiostationen diese Inszenierung (entstanden nach einer Geschichte aus Irres Wetter) des Bayerischen Rundfunks nachgespielt. Rundfunk-, Theatertexte zu schreiben, das sei überhaupt so ein Feld, wo sie gern weiterarbeiten würde.

Zu unserer Verabredung am Kreuzberger Paul-Lincke-Ufer kommt Kathrin Röggla mit Fahrrad und Rucksack. Eine Studentin auf dem Weg in die Uni. Das ist vorbei. Studiert hat sie in ihrer Heimatstadt Salzburg Germanistik und Publizistik. Seit 1992 lebt sie in Berlin. Die Geschichte der Stadt hat sie interessiert, die Westberliner Szene, auch der Prenzlauer Berg, aber hauptsächlich war es der Wunsch, in einer Großstadt zu leben. „Hamburg, München können da einfach nicht mithalten, Wien schon gar nicht.“ Eine deutschsprachige mußte es unbedingt sein. Ohne dieses sprachliche Umfeld könnte sie nicht schreiben. „Am Anfang war dieser Ortswechsel auch ein Bruch“, erzählt sie. In Salzburg stand die Arbeit mit den neuen Medien im Mittelpunkt. Da die technischen Voraussetzungen jetzt fehlten, mußte und wollte sie sich ganz aufs Schreiben konzentrieren. Erst in jüngster Zeit hat sie sich wieder stärker dem Internet zugewandt, experimentiert mit Hypertexten, Sound-Collagen und Audio-Installationen.

Berlin hat sie sich auf eigene Weise erschlossen. Respektlos und mit unverbrauchtem Blick schaut sie auf die Stadt, in der es von Zukunftseuphorie nur so brodelt. „... alles steckt schon in den startlöchern. kleine Modelle stehen hier an allen ecken und enden, veranschaulichungstümpel, damit die leute es endlich kapieren: das ist berlin 2010, 2020 usw.“ Doch sie hält dagegen: „sie können nicht aufhören zu zählen, sie können es nicht lassen, das geht alles so weiter. schon auf der straße fängt es an. menschen aus fleisch sozusagen, aus eingeweiden, aus 90 % wasser, mit haut überzogen, mit luftdichten augen, ängstlich angesammelt unter der haut, ziehen durch, und zu guter letzt bleiben sie stecken - verkehrsknoten, sagt man und meint es nicht ernst, aber dann ist es zu spät. denn gentrification! lautet hier das stichwort, ist die bewegung, die durch die mitte geht, und think-positive-hardliner geben sich darin die hand.“ Kathrin Röggla rollt Berlin vom Rande auf. Sie trifft auf Leute aus dem „kontoeinzugsmilieu“, auf „menschen und zwischenmenschen“, auf „hausbesetzer“, die „karriere als einfamilienhaushälfte in kladow“ machen, schreibt vom „wohnen im blockinnenbereich ... kriechströme in den wänden den ganzen tag ... acht stunden sind der tag, der rest geht flöten, geht stempeln, geht geradeaus auf die sechzig zu“. Die Bewegung, der Riß, der durch die Mitte geht, erhält so deutliche Konturen.

In ihren Texten spürt man die hektische Geschäftigkeit der Großstadt und den „duft der linden, der im endspurt liegt“. Da ist ein pochender, treibender Rhythmus. Staccato- Schritt. „immer auf der überholspur“ ... „und so laufe ich und laufe, ich laufe, und keiner hält mich hier zurück. ja, nicht aufhören, sich zu bewegen, sonst wird man beton, nicht aufhören, sich zu bewegen gehört heute zum guten umgangston. und so laufe ich und laufe, und während ich laufe, fällt es mir endlich auf: ich laufe und laufe nicht rückwärts, doch fühlt es sich gerade so an.“

Nichts also vom beschaulichen Flanieren. „Wir leben einfach nicht mehr in Zeiten, wo man flanieren kann. Das war eine Sache des 19. Jahrhunderts, drückte auch bürgerliches Selbstbewußtsein aus, wie es Walter Benjamin beschreibt. Heute leben wir in einer kleinbürgerlich, massenmedial bestimmten Gesellschaft.“ Flanieren hängt für Kathrin Röggla mit einer sozial-gesellschaftlichen Situation und städtebaulichen Gegebenheiten zusammen. „Profan gesagt: Man flaniert nicht auf einer vierspurigen Autostraße.“ Sie will das aber nicht so verstanden wissen, daß Langsamkeit nicht mehr zeitgemäß ist. Das Interessante am Leben in der Großstadt ist für sie, daß unterschiedliche Zeiten und Geschwindigkeiten nebeneinander bestehen, es gibt beschleunigte Situationen und verlangsamte. Das sei nicht nur eine Sache von direkter Bewegung, sondern auch von sozialer. Mit der Feinfühligkeit eines Sensors versucht sie die Veränderungen wahrzunehmen, hinter das Gesicht der Stadt zu sehen. „mental maps“ nennt sie ihre Skizzen. Sie sind ziseliert bis ins Detail, auch wenn sie manchmal flüchtig wirken, wie im Vorbeigehen notiert.

Man liest ihre Texte und hat sofort ein Bild vor Augen, von den Orten, der Atmosphäre, der Stimmung. Bei der Love-Parade nimmt sie die „welt als taubenschlag von angebot und nachfrage“ wahr, bei einem Ausflug ins Brandenburgische sieht sie statt blühender Landschaften, wie „die landschaft alle augenblicke neu aufgerollt wird in windparks, tankstellen und sportflughäfen“, und in Treptow hat sie einen getroffen, der „seinen privatosten aufgemacht hat zwischen schrebergärten und zwiebelmärkten“. Von Karstadt am Hermannplatz, „wo sich mallorca und gran canaria gute nacht sagen“, den „einkaufsgeräten“ am Potsdamer Platz, durch die leeren Friedrichstraßenquartiere, „dieses ganze brachland an investitionen“ bis zu Orten, wo der „handylärm schon überhandnimmt“ - statt Lokalkolorit im freundlichen Weichzeichner scharf belichtete Bilder einer Stadt und einer Zeit im Übergang, in der nichts mehr so bleibt, wie es war. „Im Moment gibt es nichts Besseres über Berlin“, war in einer Rezension zu lesen. Stimmt!

Statt Personen bilden Orte das Zentrum der Texte. „Den Lesern mag die Auswahl vielleicht etwas zufällig anmuten. Es sind nicht unbedingt signifikante Orte“, sagt Kathrin Röggla. „Aber sie sind strategisch für das, was ich sagen will.“ Das „Yorckkino“, so der Titel einer sechsseitigen Skizze, ist zum Beispiel ein Ort, wo „Leute aufeinandertreffen, wo es eine spürbare Situation gibt: Wir sind nicht das neue Berlin. Wir sind nicht die neue Mitte. Wir müssen aufpassen, damit wir nicht weiter an den Rand gedrängt werden.“

Kathrin Röggla scheinen die Worte nur so zuzufliegen, sie spielt damit, gibt Satirisches dazu, überhöht, verfremdet mit Szeneslang und Mediengequatsche. Zeitgefühl im genauen Beobachten von Gesten („man nickt sich telefonisch zu“), im Beschreiben von Verhalten, wie man miteinander redet oder nicht, was man sagt und was nicht. Gesprächspassage aus dem Text „selbstläufer“: „die leute nehmen nichts mehr wahr ... reden wir überhaupt noch miteinander? antwort: nein, wir wissen im grunde schon vorher, was wir hören wollen, und hören es dann auch, gleich, was der andere sagt.“ - „Es gibt heute so eine Art des Redens, die vor 20 Jahren völlig undenkbar war“, meint Kathrin Röggla. „Kein Thema wird wirklich behandelt.“ Durch Sprache zu vermitteln, wie in einer historischen Zeit, in konkreten Situation gedacht wird, reizt sie, da will sie dranbleiben. „Da ist noch viel zu entdecken.“

Worüber Kathrin Röggla schreibt, kennt sie sehr genau. Wie nimmt sie Wirklichkeit auf? „Es ist tatsächlich so, daß ich immer wieder Sachen notiere, mitschreibe, was ich höre - Gesprächsfetzen vom Nachbartisch, von Gesprächen, die ich selbst führe, von Bekannten, die ich ausraube“. Und es reizt sie, künftig mit dem Mikrofon loszuziehen, O-Ton aufzunehmen. Erfahrungen, die sie als Reporterin gesammelt hat, bestätigen sie darin. Interessiert verfolgt sie die Debatten zur Baupolitik, Stadtentwicklung, hat internationale Tendenzen im Blick.

Kathrin Röggla veröffentlicht ihre Texte konsequent in Kleinschreibung. „Das betont den Materialcharakter, die Kunstsprache.“ Natürlich sei das auch ein Einfluß der Wiener Schule, sie nennt Elfriede Jelinek, die sie sehr verehrt, Friederike Mayröcker, ebenso Hubert Fichte, Arno Schmidt, die als Vorbilder wirken. „Um jedes neue Buch spannt sich ein literarisches Kraftfeld. Das wechselt jedoch ständig.“

Feuilletonisten wurden in jüngster Zeit nicht müde, neue Generationen auszumachen. Sie kreierten die „Generation Golf“, die „Generation Berlin“ und jüngst die „Generation Ich“. Kathrin Röggla hält nichts davon. „Ich sehe mich nicht jenseits der Generation. Aber dieser Begriff verdeckt die Widersprüche, die es in einer Generation gibt. Es sind ja nicht alle Dreißig- oder Fünfzigjährigen gleich, es gibt Unterschiede zwischen Ost und West, arm und reich, Frauen und Männern.“

Ihre Beobachtungen spitzt sie ironisch zu, sie macht sich lustig über die „pillenfraktion„ (streunen herum), die „globalisierungsgewinner“ (passen auf das richtige zu bekommen), die „moserfraktion„ (mosern nur rum und haben nichts begriffen, doch dann und wann gehen ihnen die themen aus) oder die „überlebensfraktion“ (nicht mehr nach links und rechts sehen, nur klarkommen mit ihrer Situation).

Vorbehalte hat sie auch, wenn vom Zeitgeist die Rede ist. „Ist Modisches damit gemeint?“ fragt sie zurück. Zeitgeist hat für sie „etwas Euphemistisches, Unreflektiertes, was die gesellschaftlichen Verhältnisse betrifft“. „Natürlich gibt es eine Art Zeitgenossenschaft“, fügt sie hinzu. „Man kann sich nicht raushalten aus gesellschaftlichen Situationen. Das ist Illusion.“ Formloses labern, im Internet irgendwelche Sprüche loslassen, Beliebigkeit ist ihre Sache nicht.

Ihre liebsten Orte in Berlin? „Das ist unterschiedlich.“ Kreuzberg gehört dazu, dort wohnt sie, da sind die Freunde, die Oranienstraße ... Sie sei ein Stadtmensch, „absolut“, charakterisiert sie sich selbst. Doch jetzt hat sie sich für längere Zeit aufs Land zurückgezogen. Um in Ruhe zu schreiben. Einen neuen Roman.

Gudrun Schmidt

Kathrin Röggla: Irres Wetter, Residenz Verlag, Salzburg 2000, 168 S.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 10/00 (c) Edition Luisenstadt, 2000
www.berliner-lesezeichen.de

zurück zur vorherigen Seite