Ein Rezension von Helmut Caspar


Preußisches Arkadien

Rudolf G. Scharmann/Hans-Joachim Giersberg:
300 Jahre Schloß Charlottenburg
Texte und Bilder.
Herausgegeben von der Stiftung Preußische Schlösser und
Gärten Berlin-Brandenburg, Potsdam 2000, 256 S.


Als vor dreihundert Jahren Schloß Lietzenburg, die neue Residenz der Kurfürstin Sophie Charlotte, eingeweiht wurde, ging es über Tische und Bänke. Der brandenburgische Kurfürst und ab 1701 preußische König Friedrich I. amüsierte sich bei Feuerwerk, Komödien und Musik so köstlich, daß der Oberhofzeremonienmeister notieren konnte, seinen Monarchen noch nie so „freudig“ gesehen zu haben. Nach dem Tod der Hausherrin im Jahr 1705 wurde die Lietzenburg in Charlottenburg umbenannt. Das war gewöhnungsbedürftig, und so wurde auf königlichen Befehl „scharf darüber gehalten, daß alle diejenigen, die den ersten Namen nur nennen, sofort 16 Groschen zur Strafe erlegen müssen“, wie ein Beobachter berichtete. Ende des 18. Jahrhunderts, nach einer Phase intensiver Um- und Neugestaltungen des Palastes vor den Toren der Haupt- und Residenzstadt Berlin unter Friedrich II. und seinen Nachfolgern, wies ein Kastellan „pflichtschuldigst“ auf schlimme hygienische Zustände in den königlichen Räumen hin. Da ordentliche Toiletten fehlen, müßten die Schloßbewohner ihre Bedürfnisse in Stuben, Kammern und Gängen verrichten. Die „excrementationes von so vielen Menschen“ würden sich mit der warmen Luft vermischen, so daß es zum Faulfieber kommt. Das Schloß sei daher „mehr für Engel als für coerperliche Geschöpfe“ angelegt, meinte der Aufseher und riet, „eigene Behältnisse vom Schloß abwärts“ anzulegen. Ob solche Abwasserkanäle in den Park und die Spree gelegt wurden, ist nicht überliefert.

Seit 1699 war Schloß Charlottenburg bevorzugte Residenz der Hohenzollern, fast jeder Preußenkönig hat hier mit Familie und Hofstaat gewohnt und bauliche Spuren hinterlassen. Hier wurde gefeiert, geheiratet, getauft, hier wurden Könige und Kaiser zu Grabe getragen. Der weitläufige, reich mit Kunstwerken bestückte Palast mit einem herrlichen, durch zahllose Plastiken aufgewerteten Park lockte Fremde an, die fleißig ihre Eindrücke notierten, in keinem Baedecker fehlte der Hinweis auf das preußische Arkadien samt zahlreichen Bier- und Kaffeehäusern. Eine Sammlung solcher gelegentlich recht amüsant zu lesenden und durch Stiche und Gemälde illustrierten Beschreibungen sowie amtlicher Dokumente, Auszüge aus Romanen, Presseartikeln und Gutachten wurde jetzt, ein wenig verspätet nach der eigentlichen 300-Jahr-Feier, von der Preußischen Schlösserstiftung herausgebracht. Vorbild war eine ähnliche Anthologie von 1995 anläßlich der 250-Jahr-Feier der Gründung von Sanssouci, erschienen im Nicolai Verlag Berlin.

Besucher von Charlottenburg waren, wie die Lektüre des Sammelbandes ergibt, des Lobes voll, beschrieben die reiche Ausstattung, rühmten Bequemlichkeit und Noblesse. Solche Zeugnisse sind heute wichtige Quellen, wenn es darum geht, alte Raumausstattungen zurück zu gewinnen. Friedrich II. wird mit dem Befehl aus dem Feldlager zitiert, der „dicke Knobelsdorff“ möge sich mit den Umbauten beeilen, denn er, der König, sei in diesen Dingen wie ein Kind, sie seien seine Puppen, mit denen er spiele. Königin Luise beschreibt sechzig Jahre später dem Zaren Alexander I. von Rußland die Reize, die das Teetrinken auf dem geliebten Schloßbalkon hat, Otto von Bismarck schildert, wie er bei „elegant serviertem Frühstück“ auf eine Audienz bei König Friedrich Wilhelm IV. warten mußte, der nach der Revolution von 1848 nicht mehr in Berlin wohnen wollte, weil ihm die Erinnerung an die Revolution zuwider war. Ein Charlottenburger Arzt erinnert sich, als Kind das inzwischen aus dem Blick der Hohenzollern geratene Gebäude samt dem von der Außenwelt abgesperrten Park einsam, dunkel, verwahrlost und als Rumpelkammer der Hofverwaltung erlebt zu haben. Zeitzeugen erzählen, daß in der Weimarer Zeit ein in den Schloßräumen eingerichtetes Rauch-Schinkel-Museum wegen mangelnden Publikumsinteresses schließen mußte, und listen die Bombenschäden des Zweiten Weltkriegs auf.

Margarete Kühn schließlich, die beherzte Nachkriegs-Direktorin, sowie ihr Nachfolger Martin Sperlich setzen sich mit Plädoyers für den Wiederaufbau der Ruine in einen Gegensatz zur damaligen Denkmalpflege-Philosophie, derzufolge es besser sei, auf ein kaputtes Gebäude zu verzichten als es nach Befund aufzubauen. Zum Schluß läßt die reich mit Stichen und Gemälden aus drei Jahrhunderten illustrierte Anthologie den Streit um 1970 aufleben, ob es besser sei, die im Krieg zerstörten Deckengemälde von Antoine Pesne nach alten Fotos neu zu malen oder, wie es dann Hann Trier tat, gewagte Farbinszenierungen zu schaffen. Sperlichs gereimte Warnung vor Schäden, die „Sophiechens Partyschuppen“ bei streng von der übrigen Welt abgesperrten Staatsempfängen im Schummerlicht erleidet, bleibt leider aktuell, denn nach wie vor werden die edlen Räume für ebendiese Zwecke ge- und mißbraucht.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 08+09/00 (c) Edition Luisenstadt, 2000
www.berliner-lesezeichen.de

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