Eine Rezension von Bernd Heimberger


Mickels Meinungen

Karl Mickel: Schriften Gelehrtenrepublik
Beiträge zur deutschen Dichtungsgeschichte.

mdv Mitteldeutscher Verlag, Halle/Saale 2000, Band 5, 673 S.

 

Karl Mickel ist Karl Mickel! Mickel ist kein Pseudonym. Mickel verlängert nicht die Linie der Legende, ein bedeutender, unveröffentlichter Autor zu sein. Der Dozent der Berliner Schauspielschule „Ernst Busch“, der mitten im Sommer ins Pensionsalter gerät, kann auf genug Veröffentlichtes sehen. Mit dem Band 5 wird die sechsbändige Schriften-Reihe der Werke des Dichters, Dramatikers, Essayisten, Historikers und so weiter abgerundet. Der Titel nimmt den der essayistischen Vorgänger-Bände auf. Gelehrtenrepublik ist die gewachsene Ausgabe der schriftlich-mündlichen „Beiträge zur deutschen Dichtungsgeschichte“. Gemessen an der Seitenzahl der Gesamtausgabe, nimmt der Band ein Drittel des Umfangs ein. Womit ausgemacht ist, daß das Werk des Karl Mickel das Werk eines Essayisten ist?

„Ich habe mich zum Theoretisieren verleiten lassen ...“, sagt der Analytiker in einem Gespräch, das im Band publiziert ist. Mickel ist immer auch Theoretiker. Der verkrampft nicht, indem er sich ständig gedrängt fühlt, Thesen zu verkünden. In der Arbeit über einen artverwandten anderen - Adolf Endler - kann er gelassen seine Situation die eines „Wissenschaftlers und Dichters“ nennen. In vielen Essays dominiert das Wissenschaftliche, was nicht nur auf den studierten Wirtschaftshistoriker Mickel hinweist. Dem Wissenschaftler ist Literaturanalyse vor allem „Historiographie“. Das heißt, „die Fortsetzung der Kunstwerke mit anderen Mitteln“. Was sagt, daß der Essayist Kunstwissenschaft oder Wissenschaftskunst der poetischen Art betreibt? Einem vorangegangenen 65jährigen schrieb Mickel vor Jahren, „daß Literatur-Analyse zugleich immer auch Analyse der jeweiligen Gesellschaft zu sein habe“. Die Festlegung ist für den Verfasser verbindlich, also die erste Maxime, und somit Maßstab. Gefragt, „Sind Sie ein Aufklärer?“, antwortete Karl Mickel als Wissender aufklärend: „Wer versucht, den Begriff Aufklärung zu enthronisieren, das heißt zu aktualisieren, geht ästhetisch fehl.“ Wer sich derart äußert, ist auch bereit zu polemisieren und zu polarisieren. Polemisch ist Mickel immer, wie jeder, der durch präzises Denken Positionen vertritt und verteidigt. Die Texte aus nahezu vier Jahrzehnten verteidigen und vertreten die Gedanken eines Geist-Reichen. Mickels Meinungen sind nie leichtfertige Meinungen, an denen er leichtfertig festhält. Das verlangt genau hinzuhören, wenn er davon spricht, daß die „umstrittene DDR-Literatur schließlich dauerhaft sich konstituiert“! Der das sanktioniert, hat eine Menge mehr im Kopf - „Von Klopstock bis Papenfuß“ - als flüchtige Feuilletonisten, die das Thema DDR-Literatur im letztvergangenen Jahrzehnt kräftig in die Mangel nahmen. Wer bei Karl Mickel reingeht, kommt klüger heraus. Kommt besser durch den Dschungel des Tages, den die Medien stündlich undurchdringlicher machen. Der Band Gelehrtenrepublik kann auch bei denen Hochgefühle auslösen, die gut ohne Hochschulbildung leben. Vermutlich wird sich Karl Mickel nicht dazu verleiten lassen, seine Autobiographie zu verfassen. Mit Gelehrtenrepublik ist eine wissenschaftlich-künstlerische Selbstbiographie des philosophierenden Dichters und dichtenden Philosophen da. Kein Wort über die gesammelte Poetologie des Dichters? Die ist, wo Karl Mickel draufsteht!

Karl Mickel starb am 20. Juni 2000 (d. R.).


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 06+07/00 (c) Edition Luisenstadt, 2000
www.berliner-lesezeichen.de

zurück zur vorherigen Seite