Rezension von Friedrich Schimmel


cover  

„Das Wichtige am Schreiben ist das Leben”

 

Doris Lessing: Gespräche
Aus dem Englischen von Sabine Schulte.

Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg 1999, 383 S.

 

Doris Lessing, inzwischen eine Achtzigerin, hat ein umfangreiches episches Werk geschrieben. 1994 erschien ihre Autobiographie Unter der Haut, zuvor hatte Das goldene Notizbuch für Furore gesorgt. Obwohl sie mehrfach betont hat, daß sie sich aus Interviews und Gesprächen über Literatur nicht viel mache, hat sie dennoch seit den sechziger Jahren und forciert sogar in den achtziger und neunziger Jahren vielfach Auskunft im Gespräch gegeben. In diesem Band werden vierundzwanzig Interviews aus 35 Jahren vorgestellt.

Literatur und Leben, Kindheit, Politik, Ehe und Familie, Psychologie und Psychotherapie, Mystik und Poesie, das alles sind hier die Themen. Gern wird danach gefragt, woher die Autorin ihre Erfahrungen, ihre Figuren nimmt. Ihre Antworten sind nicht immer direkt, wie sich das der Interviewer gern erhofft. Manchmal weiß sie es auch gar nicht, dann aber fällt Doris Lessing doch ein, daß manche Personen, über die sie schreibt, „aus meinem Leben” stammen. Oft aber ist es bei ihr so, daß die Figuren der Romane und Erzählungen dem „Bewußtsein” entspringen, „vielleicht dem Unbewußten, und ich sehe staunend zu, wie sie auftauchen”. Gern gibt Doris Lessing über die spannenden Prozesse während des Schreibens Auskunft: „Jemand sagt etwas, läßt einen Satz fallen, und später stellt man fest, daß diese wenigen Worte sich in eine Figur in einer Erzählung verwandeln oder daß ein einzelnes, isoliertes, unbedeutendes Ereignis zum Keim einer Handlung wird.” Oft liest man in diesem Band die Frage, welchen Rat Doris Lessing jungen Schriftstellern geben würde. Einmal antwortet sie so: „Vor allem sollte man zum eigenen Vergnügen schreiben. Alle anderen sollten einem wirklich schnurzegal sein. Aber schreiben kann keine Lebensweise sein; das Wichtige am Schreiben ist das Leben. Man muß so leben, daß das Schreiben daraus entsteht. Das ist schwer zu erklären.”

Beliebt ist auch die Frage nach der Lektüre der Autorin, und ob Lesen auch eine Grundlage für das Schreiben sein kann. Alles kann Grundlage sein, was Leben hat. Auch gibt es Autoren, die kaum etwas gelesen und gute Bücher geschrieben haben. Die Frage nach der eigenen Lektüre beantwortet Doris Lessing mit einem Rückblick: „Weil ich eine so isolierte Kindheit verlebt habe, habe ich sehr viel gelesen. Da war niemand, mit dem ich hätte reden können, also habe ich gelesen. Was ich gelesen habe? Das Beste - die Klassiker der europäischen und der amerikanischen Literatur.” Und was die eigentlichen Schreibanfänge betrifft, da ist sich Doris Lessing ganz sicher: „Vom Wesen her bin ich schon immer Schriftstellerin gewesen.”

Das Leben, immer wieder das Leben. Für die einen ist es Aufregung, für viele andere Langeweile. Doris Lessing versteht Leute nicht, die sich langweilen. Sie findet das Leben „so ungeheuer aufregend”. Zur Kritik hat sie früh schon (in den sechziger Jahren) ein distanziertes Verhältnis. Sie liest sie gelegentlich, hat aber einen Abstand „zu dem literarischen Gezänk”. Das Niveau der englischen Literaturkritik nennt sie miserabel, dem Verkauf ihrer Bücher in der ganzen Welt hat dieses Gewerbe jedoch nimmer geschadet. Auf der einen Seite hält Doris Lessing das Leben in England für etwas provinziell, aber auf der anderen Seite lobt sie dieses Land, denn hier kann sie tun, was ihr gefällt, denken, was ihr gefällt. Was hingegen repressive Gesellschaftssysteme bedeuten, das hat sie in Rhodesien kennengelernt. 1992 äußerte sie sich zu den „Geisteshaltungen, die der Kommunismus hinterlassen hat”. Doris Lessing, in ihrer Jugend in Rhodesien selbst eine Anhängerin kommunistischer Ideen, hat die Sprache in Diktaturen beobachtet. Sie „weiß wohl, daß die Benebelung der akademischen Welt nicht mit dem Kommunismus begann, sondern daß die Pedanterie und Langatmigkeit der kommunistischen Ausdrucksweise ihre Wurzeln an den deutschen Universitäten hatte. Und jetzt sind diese Worthülsen zu einer Art Mehltau geworden, der die ganze Welt verschandelt.” Ein überraschender Gedanke, aber wohl einer, der nicht verkehrt zu sein scheint.

Sehr erregt sich Doris Lessing über die sogenannte Problemliteratur. Die Vorstellung, daß Geschichten „über” etwas geschrieben sind, hält sie für abwegig, schlimmer noch, sie vermutet hier das Nachwirken kommunistischer Programme und somit ideologischer Pragmatik. Viel wichtiger sind ihr Fragen nach dem eigenen Sein. Und nach dem Prozeß des kreativen Schreibens, „über den wir überhaupt nichts wissen”. Doris Lessing setzt sich den Fragen ihrer Gesprächspartner nicht aus, sie fragt selbst, befragt sich, will wissen: „Welche verschiedenen Ebenen gibt es in uns?”

Nichts ist Doris Lessing selbstverständlich. Liebe, Ehe, Sexualität, alles ist bekannt, aber „alles wird sich ändern”. Sie stellt Grundmuster in Frage, belächelt, was Liebe und Ehe betrifft, „das ganze Theater, in das man verwickelt war”, spricht nun im Alter erleichtert, „daß man aus dem ganzen Tumult der Emotionalität aufgetaucht ist”.

Fragen, aus denen nicht nur Antworten kommen, sondern neue Fragen entstehen, sind hier zu lesen. Doris Lessing ficht für eine Kritik an den Mustern, „die unser Denken beherrschen”, denn „wir müssen lernen, unser Denken und unser Verhalten zu beobachten. Wir müssen manches neu durchdenken.”

Ein solches Muster scheint ihr auch das Gerede von den ewig und überall bevorstehenden Katastrophen. Doch die Katastrophen treten nicht in der Zukunft ein: „Vielleicht sollten wir fragen, wie schlimm eine Katastrophe sein muß, bevor sie zu einer Katastrophe wird.”

Kritik übt sie auch am sozialen Verhalten, besonders in den Familien. Die „Konkurrenz zwischen Vätern und Söhnen und Müttern und Töchtern kann man in jeder Familie beobachten. Es ist eine ziemlich primitive Geschichte.” Bleibende Schatten der Zivilisation. Der Westen, resümiert Doris Lessing, ist „eine Art von idealer Gesellschaft”, aber woher rührt die permanente Unzufriedenheit? Hilft da der Roman, der, nach Doris Lessing, „das Bewußtsein erweitern und nicht verengen” sollte? Gewiß hat er Wirkungen, doch bleiben sie verschwommen, nicht meßbar scheint ihr, daß immer mehr Menschen in immer mehr Ländern begreifen, „daß die Welt ein Ganzes ist und daß wir Weltbürger sind, das ist eine großartige neue Sensibilität, die uns vielleicht alle noch retten kann”. Diese „Gespräche”, aus ganz unterschiedlichen Anlässen und in ganz verschiedenen Zeiten geführt, können mehr als nur Lektüre sein. In ihnen stecken viele Keime für weitere Fragen, sie sind geradezu ein Kompendium für fortzusetzende Gespräche über Leben und Literatur.



Berliner LeseZeichen, Ausgabe 04/2000 © Edition Luisenstadt, 2000
www.berliner-lesezeichen.de

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