Dr. Julius Lippert

* 09. 07. 1895 in Basel
+ 30. 06. 1956 in Bad Schwalbach

Bildnis Julius Lippert

Stadtpräsident
vom 5. 1. 1937 bis Juli 1940

Julius Lippert verdankte seine dreieinhalbjährige Amtszeit als Stadtpräsident insbesondere seiner Fähigkeit, Karrierestreben, opportunistisches und intrigenreiches Handeln vorbehaltlos in den Dienst der sich politisch formierenden nationalsozialistischen Bewegung zu stellen. Seine Lebensmaxime, daß man stets mit den stärksten Wölfen heulen müsse, führte ihn zwar an die Spitze der Berliner Kommunalverwaltung, doch in dieser Funktion blieb er mehr die auf Öffentlichkeit und den Ausbau seiner Macht versessene Persönlichkeit als der gestaltende Politiker.

Geboren als Sohn eines deutschen Hoteliers und dessen Schweizer Ehefrau, verbrachte Julius Lippert seine Kindheit in der Schweiz, in Frankreich und in Italien. Bereits als Schüler hegte er Vorbehalte gegenüber jüdischen Altersgefährten. Seinen Antisemitismus fand der 16jährige vor allem in Houston Stewart Chamberlains Schrift "Die Grundlagen des 19. Jahrhunderts" und in Joseph Arthur Graf de Gobineaus "Versuch über die Ungleichheit der Menschenrassen" theoretisch bestärkt. 1914 meldete er sich als Kriegsfreiwilliger. Lippert wurde zweimal verwundet, mehrfach für Tapferkeit vor dem Feind ausgezeichnet und zum Leutnant der Reserve befördert. Das Studium an der Berliner Friedrich-Wilhelms-Universität schloß er 1922 mit der Dissertation über ein nationalökonomisches Thema ab. Während seiner Gefolgschaft in der reaktionären Deutschvölkischen Freiheitsbewegung hatte er unter anderem bei der heimtückischen Ermordung Walther Rathenaus seine Hand im Spiel.

Entscheidenden Anteil am politischen Aufstieg Julius Lipperts hatte Joseph Goebbels. Der NSDAP-Gauleiter von Berlin holte den politisch Gleichgesinnten, der sich als wortgewandter Leitartikler beim "Deutschen Tageblatt" bereits einen Namen gemacht und im April 1927 das Parteibuch der NSDAP erhalten hatte, im August des selben Jahres zum parteieigenen Kampfblatt "Der Angriff". Goebbels lobte Lippert zunächst als "anständigen", "braven Kerl", der über einen sicheren journalistischen Stil verfüge und mit dem er die inhaltliche Stoßrichtung der Zeitung besprechen könne. Doch schon bald rügte er an ihm die "feiste Bürgerlichkeit". Lippert sei kein Sozialist, sondern ein "Bürger", ein "Nützlichkeitsspießer", der keinen "Führergeist", "keine Flamme" besitze und der eigenmächtig versuche, "Privatpolitik zu machen", vertraute Goebbels 1929 und 1930 in mehreren Eintragungen seinem Tagebuch an. Dennoch förderte der spätere Reichsminister für Volksaufklärung und Propaganda seinen Parteigenossen, nicht zuletzt in Ermangelung nationalsozialistisch forscherer und zugleich fachlich kompetenter Mitarbeiter.

Vom November 1929 an vertrat Julius Lippert auch als Abgeordneter im Berliner Stadtparlament die Interessen der NSDAP, deren Fraktionsvorsitz er ein Jahr darauf übernahm. Mit der Ernennung zum "Staatskommissar zur besonderen Verwendung", der zunächst dem zuständigen Oberpräsidenten, aber kurz darauf als eigenständige Verwaltungsbehörde dem preußischen Staatsministerium unterstellt war, erhielt er bereits Mitte März 1933 Vollmachten, die Verwaltungsarbeit zu beaufsichtigen. Als der preußische Ministerpräsident Hermann Göring den Parteigenossen Lippert in sein neues Amt als Staatskommissar der Reichshauptstadt einführte, äußerte der Berliner Oberbürgermeister Dr. Heinrich Sahm, daß zu den Männern, die wie ein Frühlingswind mit der Machtergreifung durch den Nationalsozialismus in Berlins Rathaus eingezogen seien, auch Dr. Lippert gehört habe. Schon bald bekam der parteilose Sahm den Sturm, mit dem der neue nationalsozialistische Funktionsträger durch die Amtsstuben fegte, am eigenen Leibe zu spüren. Sahm kapitulierte schließlich im Dezember 1935 vor den ständigen Einmischungen in seine Amtsgeschäfte sowie vor den immer unverschämter werdenden Intrigen des Staatskommissars und trat zurück. Bereits zuvor hatten Lippert und seine Gesinnungsgenossen mit dem zügig installierten "Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums" vom 7. April 1933 die Stadtverwaltung von "politisch unzuverlässigen Beamten gesäubert" und dafür überzeugte Nationalsozialisten in Stellungen gebracht. Die Suspendierungen, die immerhin rund 1200 Beamte und ein Drittel der von der Stadt Angestellten betrafen, wurden öffentlich auch mit der Beseitigung der langjährigen finanziellen Mißwirtschaft durch die "Systembeamten" der Weimarer Republik gerechtfertigt.

Mit der Veränderung der Berliner Verfassung vom 1. Dezember 1936 konnte Julius Lippert seine Machtposition ein weiteres Mal ausbauen. Das Gesetz ersetzte den Staatskommissar durch den Stadtpräsidenten, der künftig in Personaluninon auch das Amt des Oberbürgermeisters bekleiden sollte und dem Minister des Innern unterstellt war. Damit wurde der Dualismus zwischen städtischer und staatlicher Kompetenz allerdings nur noch de jure aufgehoben. Für die Öffentlichkeit leitete Lippert faktisch die Amtsgeschäfte des Oberbürgermeisters, seit der parteilose Oskar Maretzky den zurückgetretenen Sahm kommissarisch als Stadtoberhaupt vertreten hatte. Während er sich anläßlich des 6. Internationalen Gemeindekongresses und wenig später im Verlaufe der Olympischen Spiele 1936 als Redner für den Aufschwung in der Reichshauptstadt in Szene setzen konnte, nahm beispielsweise die inländische Presse von Maretzky kaum Notiz. Lippert nutzte auch fortan jede Möglichkeit, sich als großzügiger Gestalter des neuen Berlins zu präsentieren. Obgleich er offiziell die Rückkehr zu "altpreußischer Sparsamkeit" forderte, spielte für ihn Geld andererseits keine Rolle, als es beispielsweise darum ging, den Berliner Festzug zur 700-Jahr-Feier der Stadt mindestens genauso imposant auszustatten wie den Münchner Festzug am "Tag der deutschen Kunst".

Trotz der angehäuften Machtfülle versuchte Julius Lippert auch als Oberbürgermeister, seinen Einfluß auf ihm nicht untergeordnete Bereiche wie die des Präsidenten der Bau- und Finanzdirektion auszuweiten. Verärgerungen und Mißverständnisse blieben nicht aus. Goebbels' Unmut über den selbstgefälligen Politiker riß nicht ab. Ob er sich mit den mehrfachen Entlassungsandrohungen lediglich in seinem Tagebuch Luft gemacht oder diese auch dem uneinsichtigen Oberbürgermeister mitgeteilt hat, ist indes nicht belegt. Im September 1937 beklagte Goebbels wieder einmal, daß "Berlin bei Lippert in den schlechtesten Händen" sei. Doch erst 1940 nahmen Kompetenzstreitigkeiten mit Albert Speer, dem Generalinspektor für die geplante Neugestaltung Berlins, solche Formen an, daß Adolf Hitler den von ihm als "Nichtskönner, Idiot, Versager, Null" beschimpften Lippert, der unfähig sei, eine Weltstadt zu regieren, entließ. Speer hatte offenbar den besseren Draht zum "Führer".

Als Kommandeur der Propagandaabteilung Südost eröffnete Julius Lippert 1941 den "Soldatensender Belgrad" und brachte sich mit dem allabendlich ausgestrahlten "Lili Marleen"-Lied noch einmal in die Schlagzeilen. In seinen Erinnerungen an diese Zeit berichtete er aber auch über einen militärisch organisierten Konzern, dessen Generaldirektor er durch die Gewalt nicht näher benannter Umstände geworden sei. Das dubiose, aber prosperierende Unternehmen, das unter anderem sieben Filmverleihfirmen, 18 Sprech- und 21 Filmtheater, Genesungsheime, ein florierendes Bankgeschäft und einen großen Wagenpark verwaltete, muß ihm offenbar aus den Händen geglitten sein. Deshalb ließ er sich als Kreiskommandeur von Arlon nach Belgien versetzen. Nach einer kurzen Zwischenstation an der Ostfront geriet er 1945, auf dem Rückzug, in englische Kriegsgefangenschaft, wurde an Belgien ausgeliefert und zu sieben Jahren Zuchthaus verurteilt.

Die Spruchkammer des Landes Hessen entzog ihm nach seiner Rückkehr nach Deutschland das passive Wahlrecht und erkannte ihm Renten- und Pensionsansprüche ab.

Der letzte Absatz seiner 1942 veröffentlichten autobiografischen Erlebnisse "Im Strom der Zeit" hätte auch unter Lipperts 13 Jahre später publizierten Memoiren, einer peinlichen Mischung aus Verdrängung, Verharmlosung, Unbelehrbarkeit und Rechtfertigung, stehen können: "Der Strom der Zeit ist nicht an mir vorübergerauscht. Er hat mich mitgerissen, gerne habe ich mich ihm anvertraut. Er hat mich getragen und trägt mich weiter."

Bis zu seinem Tode hat Julius Lippert in Bad Schwalbach Vorträge über Kunstgeschichte gehalten.

 

© Edition Luisenstadt, 1998
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