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Jutta Schneider
1. Oktober 1889:
Am Alex: Neues Polizeipräsidium

Es war offenbar nicht das »große Ereignis«, als an diesem Tag der größte Teil der Mitarbeiter der Berliner Polizeibehörde von der Stadtvogtei am Molkenmarkt in den »Palast« am Alexanderplatz umzog. In der »Vossischen Zeitung« wurde am nächsten Tag lediglich vermerkt, daß »an dem neuen Polizeigebäude am Alexanderplatz dicht unter der Hauptkuppel eine Uhr angebracht worden (ist), die jedoch den Zwecken einer öffentlichen Uhr nur in bescheidenem Maße entspricht«. Sie sei »grau in grau« gehalten, und vom Alexanderplatz aus könne man sie nur mit »sehr scharfen oder gar bewaffneten Augen erkennen«.
     Über 80 Jahre hat es gedauert, bis das Königliche Polizeipräsidium, das am 25. März 1809 durch eine Kabinettsorder Friedrich Wilhelms III. (1770–1840, König ab 1797) ins Leben gerufen wurde, ein würdiges, nicht zu übersehendes Dienstgebäude erhalten sollte. Hermann Blankenstein (1829– 1910), Stadtbaurat von 1872 bis 1896 und Leiter der Berliner Hochbauverwaltung, einst Schüler der Bauakademie, an der er

später auch Vorlesungen hielt, hatte die Pläne für das gewaltige neue Gebäude in der Tradition der Berliner Backsteinarchitektur entworfen. Im Frühjahr 1886 wurde der Bau begonnen und in der bemerkenswerten Zeit von nicht einmal vier Jahren vollendet. Mit 10 610 Quadratmetern bebauter Grundfläche war das Polizeipräsidium nach dem Berliner Schloß und dem sich bereits abzeichnenten Reichstagsgebäude das größte Gebäude der Stadt. Es hat fünfeinhalb Millionen Mark gekostet.
     Eine Front des Gebäudes lag An der Stadtbahn Nr. 15 und folgte den Krümmungen des Viadukts; die andere Front befand sich in der Alexanderstraße 7 und hatte eine Länge von 196 Metern. Die Seitenfront am Alexanderplatz betrug 92 Meter. Der Baukomplex umschloß acht offene Höfe und einen glasüberdachten Mittelhof. Der Haupteingang befand sich in der Straße An der Stadtbahn. Es beherbergte vor allem Dienstwohnungen und Büros, während der Teil des Gebäudes an der Alexanderstraße als Polizeigefängnis dienen sollte. Es bot Platz für 328 Männer und 94 Frauen. Für den Polizeipräsidenten und den Oberregierungsrat wurden im Hauptgeschoß an der Alexanderplatz- Front Dienstwohnungen bereitgestellt, die sogar den Luxus von Erkern und Balkonen hatten. Auch für Stallungen und »Wachtlokale« für die berittene Schutzmannschaft sowie eine überdachte Reitbahn war gesorgt.
     Die Berliner Polizei brauchte ein neues,
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Das neue Polizeipräsidium, Alexanderplatz Ecke Alexanderstraße
zentral gelegenes Dienstgebäude, in dem alle Abteilungen untergebracht werden konnten, die bisher in der Stadt verstreut waren und vor allem am Molkenmarkt unzureichende Quartiere hatten. Seit ihrer Gründung im Jahre 1809 war die Polizeibehörde beträchtlich angewachsen. Neben sechs Abteilungen, so die Regierungsabteilung, die Gewerbe- und Bauabteilung, die Sittenpolizei, Paßbüro, Gesindeamt und die Abteilung für Übertretung, mußten im neuen Gebäude auch die Politische Polizei und eine Reihe anderer zentraler Büros sowie Kassen untergebracht werden. Auf dem freigeräumten Gelände am ehemaligen Königsgraben fand sich ein geeigneter Platz. Das Arbeitshaus und eine alte Heilanstalt wurden abgerissen. Dennoch konnte ein so gewaltiger Gebäudeblock nur mit Mühe auf diesem nun größten Bauplatz Berlins unter-
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Polizei-Dienstgebäude, Grundriß des Erdgeschosses
gebracht werden. Der Neubau des Polizeipräsidiums in der Hauptstadt sollte Macht repräsentieren. Dennoch durfte keine Zwingburg im Stadtkern entstehen.
     Wegen dieser »kolossalen Gebäudemasse«, auf die sogar im »Handbuch für Reisende« 1891 von Baedeker hingewiesen wird, und dem Festhalten an alten Bautraditionen hatte Blankenstein manche Kritiker. Wohl ein Grund, warum das umfangreiche Lebenswerk des Architekten fast in Vergessenheit geriet.
Das Gebäude des Polizeipräsidiums wurde im Zweiten Weltkrieg z. T. zerstört und nach 1960 abgerissen.
     Heute erinnert eine Gedenkstele in der Mitte der Grunerstraße über dem Eingang zum Verkehrstunnel an das Polizeipräsidium.

Bildquelle:
Berlin und seine Bauten, Teil II und III, Berlin 1896

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