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Helmut Caspar
Hohenzollerngruft wird geöffnet

Wenn am 20. November die Gruft im Berliner Dom ihre Pforten öffnet, werden längst nicht alle Särge der Hohenzollern in dem hell gestrichenen, durch mächtige Pfeiler gestützten Gewölbe unter der Predigtkirche zu sehen sein. Viele der mit kleinen, emaillierten Namensschildern gezeichneten Sarkophage warten in den weitläufigen Katakomben des 1894 bis 1905 nach Plänen von Julius Raschdorff errichteten Kuppelbaues noch auf den Restaurator. Schwarze Samtbezüge mit silbernen Bordüren, die die Särge schützen, Kissen, Decken und Totenkleider müßten unbedingt gereinigt, konserviert und gefestigt werden, betont Dombaumeister Rüdiger Hoth. Diese Arbeit sei aus Geldmangel – und weil es im Moment auch keine geeigneten Textilrestauratoren gibt – zum Erliegen gekommen. Da wohl schnelle Hilfe nicht in Sicht ist, werde es in der genealogischen Anordnung der Sarkophage noch manche Lücken geben, wenn die etwa zweitausend Quadratmeter große Gruft feierlich für das Publikum geöffnet wird. Hoth hofft, die leeren Stellen mit den Jahren auffüllen zu können. Regelmäßige Besucher würden dann immer auch

Neuzugänge sehen. Immerhin dokumentiere die Hohenzollerngruft fünfhundert Jahre fürstliche Sepulkralkultur, wie sie sonst kaum in dieser Qualität und Vielzahl in einer anderen Gruft in Europa zu finden ist.
     Die Restaurierungsarbeiten kamen in den letzten Jahren ins Stocken, weil die Mittel für die aufwendige Wiederherstellung gekürzt wurden und die Domgemeinde wie auch die Hohenzollern das fehlende Geld nicht aufbringen konnten. Zuschüsse vom Bund und vom Landesdenkmalamt, von der Evangelischen Kirche sowie Eintrittsgelder, Erträge eines Buchshops, vom Prinzen von Preußen handsignierte Poster und ähnliches reichen nicht aus. Der 1994 ins Leben gerufene Dombau-Verein bemüht sich daher um Sponsoren und hofft, mit ihrer Hilfe die Restaurierungsarbeiten voranzubringen.
     Viele mit Kronen und Inschriften geschmückte Särge außerhalb der allgemein zugänglichen Räume zeigen sich noch in einem desolaten Zustand. Einige aus Schwedt hierher gebrachte Katafalke aus dem achtzehnten Jahrhundert, in denen die Gebeine der mit dem Königshaus verwandten Markgrafen und ihrer Gemahlinnen liegen, sind bereits restauriert.
     Zerstörungen durch Bomben im Zweiten Weltkrieg und Grabräuber, die auf der Suche nach Schätzen waren, haben anderen Särgen übel mitgespielt. Nicht alles läßt sich daher wiederherstellen. Der völlig demolierte Metallsarg König Friedrich Wilhelms II., der
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Friedrich II. läßt den Sarg seines Urgroßvaters Kurfürst Friedrich Wilhelm öffnen, Illustration aus Adolph Menzels »Geschichte Friedrichs des Großen«, 1840
von einer Bombe getroffen worden war, soll als Mahnmal erhalten bleiben. Die Überreste dieses 1797 verstorbenen Monarchen, dem Berlin das Brandenburger Tor und Potsdam das Marmorpalais verdanken, sind in einem von der schwarzweißen Preußenfahne bedeckten Holzsarg in der schon zugängli- chen Ausstellung aufgebahrt. Ein von »wilden Männern« flankiertes Wappenschild läßt ahnen, wie reich geschmückt dieser Sarkophag ursprünglich war. Gern würde der Dombaumeister in der Krypta den Sarg eines anderen Hohenzollern, des Soldatenkönigs Friedrich Wilhelm I., aufstellen, der
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1992 mit dem Sarg Friedrichs des Großen von der Burg Hechingen nach Potsdam gebracht wurde und nun im Mausoleum an der Friedenskirche steht. Hoth ist überzeugt, daß man dem 1740 verstorbenen Vater Friedrichs des Großen und mit diesem bis 1945 in der Potsdamer Garnisonskirche bestatteten Herrscher im Berliner Dom mehr Aufmerksamkeit schenken könnte. Auch die Gemahlin des Soldatenkönigs, die 1757 verstorbene Königin Sophie Dorothea, hat hier ihre letzte Ruhe gefunden.
     Welche Pracht die Hohenzollern gelegentlich mit ihren Toten veranstaltet haben, zeigt sich an den Sarkophagen des Kurfürsten Johann Cicero, des Großen Kurfürsten und seiner zweiten Gemahlin Dorothea, des ersten preußischen Königspaares Friedrich I. und Sophie Charlotte sowie Kaiser Friedrichs III., die in der Predigtkirche hinter schweren Gittern aufgestellt sind. Die vergoldeten Prunksärge Friedrichs I. und Sophie Charlottes sind Werke von Andreas Schlüter. Der Bildhauer und zeitweilige Schloßbaumeister entfaltete hier den ganzen Aufwand barocker Emblematik, brachte Kronen, Adler und Löwen, Wappenschilder und Inschriften an, symbolisierte auf ergreifende Weise das Werden und Vergehen menschlichen Lebens und zeigte auf Medaillons, wie der 1713 verstorbene König und seine schon acht Jahre zuvor gestorbene Gemahlin ausgesehen haben. Der ähnlich aufwendig verzierte Sarg des ersten
Preußenkönigs mit einer davor sitzenden Figur des Todes war Schlüters letzte Bildhauerarbeit in Berlin.
     Beim Rundgang ist zu erfahren, daß Friedrich der Große Mitte des achtzehnten Jahrhunderts anstelle des mittelalterlichen Dominikanerklosters eine Hofkirche errichten ließ, die auch als Grablege der Herrscherfamilie genutzt wurde. Adolph Menzel und andere Künstler haben in phantasievollen Bildern dargestellt, wie der Monarch den Sarg seines Urgroßvaters, des Großen Kurfürsten Friedrich Wilhelm, öffnen ließ, wobei er gesagt haben soll, »Messieurs, der hat viel getan«. Der Mitte des achtzehnten Jahrhunderts nach Knobelsdorffs Ideen mit einem Kuppelturm versehene, nicht sehr große Dom wurde im frühen neunzehnten Jahrhundert von Karl Friedrich Schinkel umgestaltet. Pläne, hier eine monumentale fürstliche Nekropole einzurichten, wurden im Laufe des neunzehnten Jahrhunderts zurückgeschraubt. Erst in der Ära Wilhelms II. entstand ein aufwendiger Domneubau, der auch eine weitläufige Gruft für die Herrscherfamilie erhielt. Der Kaiser kümmerte sich persönlich um ihre Ausstattung, ließ gar die Gebeine seiner Vorfahren zur Neuaufstellung herbeischaffen. Sehr zum Leidwesen des Dombaumeisters und geschichtsbewußter Berliner wurde beim Wiederaufbau des im Krieg schwer beschädigten Doms in den siebziger Jahren die »Denkmalkirche«, in der neben den barocken
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Prunksärgen ohne fürstliche Leichen auch die auf Befehl Wilhelms II. gefertigten riesigen neuen Steinsarkophage sowie ein Denkmal Otto von Bismarcks aufgestellt waren, abgerissen, so daß den bedeutendsten Katafalken in der Predigtkirche und weiteren Särgen in der wiederhergestellten Gruft neue Plätze zugewiesen werden mußten. Die Aufstellung im Gottesdienstraum allerdings läßt nicht zu, die Prunksärge von allen Seiten zu besichtigen. So erkennt man kaum Details wie die figurenreichen Medaillons mit Bildern zur Vita des Großen Kurfürsten, die diesen Sarg zu einem einzigartigen Kunst- und Geschichtsdenkmal machen. Der Kundige erkennt im schummrigen Licht gerade einmal, daß der Brandenburger Ritter des Hosenbandordens war.
     Auf einer Tagung Anfang Juni 1999 beschrieb Berlins Landeskonservator Jörg Haspel die Mühen um den Berliner Dom als »geistige Rehabilitierung« des lange in seinem Wert verkannten Monuments historistischen Bauens und setzte sich für den behutsamen Umgang mit den Sarkophagen ein, die bis zum Zweiten Weltkrieg nur mit ausdrücklicher Genehmigung des Hauses Hohenzollern besichtigt werden konnten. In Übereinstimmung mit den Restauratoren plädierte Haspel dafür, Ausbesserungen und Ergänzungen, die Abtragung von Korrosionsschichten auf Zinnsärgen, die Rückformung zerbeulter Deckel und Tafeln und andere Maßnahmen überaus vorsichtig
vorzunehmen, um den »geschichtlichen Zeugnischarakter« nicht zu verdecken. Die recht unbekümmerten, geradezu üppigen Ergänzungen an lädierten Sarkophagen in der Kaiserzeit, wie sie Dombaumeister Hoth anhand einer Rechnung von 1893 nachwies, hätten als denkmalpflegerische Strategie schon längst ausgedient.
     Daß sich die Familiengruft nicht immer »allerhöchster« Wertschätzung erfreute, berichtete der Kunsthistoriker Andreas Cante bei seiner Würdigung der kulturhistorischen Bedeutung dieses akkurat mit Namen, Wappen und genealogischen Hinweisen versehenen »Hohenzollernschen Archivs in Gestalt einer Gruft«. Danach sei Friedrich der Große nur deshalb vor 250 Jahren von der Einschmelzung der Metallsärge seiner Ahnen abgehalten worden, weil man ihm nachweisen konnte, daß der geringe Anteil von Gold und Silber den Aufwand nicht lohnt.
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© Edition Luisenstadt, 1999
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