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Edeltraud Hinkelmann
16. September 1899:
Probebetrieb im Spreetunnel

Am 16. September 1899 fuhr die erste, eigens für diesen Zweck gebaute Straßenbahn durch den Spreetunnel zwischen Stralau und Treptow. Zur feierlichen Eröffnung erschienen die »Spitzen der Staats- und Gemeindebehörden und Vertreter verschiedener Verkehrsunternehmungen. Sie waren von der Jannowitzbrücke mit dem Dampfer angereist. In Stralau wurden sie in

den gleichzeitig fertiggestellten Straßenbahnbetriebshof geführt, der in einen eleganten Speisewagen umgewandelt war. Und anschließend fuhr man in einem ebenfalls elegant ausgestatteten Wagen zum erstenmal durch den Spreetunnel«, berichtete eine Berliner Zeitung. Der Spreetunnel war der erste im Schildvortriebsverfahren errichtete Unterwassertunnel Deutschlands. Für viele war er dann auch die Berliner Sehenswürdigkeit kurz vor der Jahrhundertwende.
     In den 90er Jahren wurde eine großstädtische Verkehrsentwicklung in Berlin immer notwendiger. Zwar hatten sich Stadt- und
Ringbahnverkehr entwickelt, in geringem Maße auch der Straßenbahnverkehr, aber die Dampf- und Pferdebahnen waren überfordert. Die große Pferde- Eisenbahngesellschaft lehnte zudem eine Elektrifizierung ihrer Linie ab.
     Anfang 1890 reichten die Allgemeine Elektrizitätsgesellschaft (AEG) und Siemens & Halske unabhängig voneinander Entwürfe für ein ganzstädtisches Liniennetz von Tief- und Hochbahnen beim Magistrat ein. Die AEG wollte Untergrund-
12 Meter unter der Spree fuhr die »Knüppelbahn«
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bahnen nach Londoner Vorbild bauen, Siemens reichte einen Entwurf für den Bau von Hochbahnen ein. Während der Magistrat Siemens seine Zustimmung gab, hatte er gegenüber den Plänen der AEG Vorbehalte. Die Behinderung der Versorgungsleitungen wurde befürchtet. Insbesondere Baustadtrat Hobrecht verzögerte das Projekt der AEG. Der Bau von Untergrundbahnen wurde durch ungünstige Bodenverhältnisse erschwert. Die Spree hat eine tiefe Schwemmsandschicht und einen hohen Grundwasserspiegel, was das Bauvorhaben beinahe als undurchführbar erscheinen ließ.
     Die AEG plante für ihr Projekt Unterpflasterbahnen eine größere Tiefenlage unter der Spree, um einen Probetunnel zu bauen. 1895 erhielt sie die Genehmigung und begann unter dem Spreebett am Treptower Park mit dem Bau.
     Zwischen Stralau und Treptow war die Spree mit 200 Metern immerhin breiter und die Schwemmsandschicht noch mächtiger als an anderen Stellen. Die Hoffnung, den Tunnel bereits zur Gewerbeausstellung in Treptow 1896 freigeben zu können, war jedoch trügerisch. Ein 160 m langes Teilstück der Einfahrtszone konnte aber schon besichtigt werden.
     Im Februar 1899 war der Spreetunnel fertiggestellt. Die Kosten des Baus lagen bei 1 700 000 Mark. Der Tunnel war 454 m lang, hinzu kamen die Einfahrten mit 128 m, so daß die Gesamtlänge 582 m betrug.
Die Strecke unter der Spree war etwa 200 m lang.
     Die Fahrt unter der Spree von Stralau nach Treptow dauerte etwa drei Minuten. Die Tunnelbahn mit einer Linie vom Schlesischen Bahnhof nach Treptow wurde am 18. Dezember 1899 dem öffentlichen Verkehr übergeben, ab 1909 wurde die Strecke bis nach Köpenick erweitert.
     Die Strecke war eingleisig. Um Zusammenstöße zu vermeiden, wurde eine einfache, aber sichere Lösung gefunden. An der Einfahrt stand ein Wachtposten, der dem Fahrer einen Signalstab übergab, der an der Ausfahrt wieder abgegeben werden mußte. Nur mit diesem Stab durfte der Tunnel durchfahren werden. Die Berliner nannten die Bahn darum bald »Knüppelbahn«.
     Die Straßenbahn fuhr über dreißig Jahre durch den Spreetunnel. Im Februar 1932 mußte er wegen Baufälligkeit geschlossen werden. Zu den Olympischen Spielen 1936 wurde der Tunnel für Fußgänger instand gesetzt.
     Im Zweiten Weltkrieg diente der Tunnel als Luftschutzraum. Die massiven Bombenangriffe verursachten neue Risse, so daß er 1948 geflutet werden mußte.

Bildquelle: Archiv Autor

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