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Siegfried Wege
Großstädtisch mit menschlichem Maß

Der Architekt Alfred Messel (1853–1909)

»... es gelang ihm, etwas von dem zarten Duft alter Kulturen in seinem eigenen Werk zu vermitteln ... Unbekümmert um das Hin und Her der Tagesmeinungen wollte er nichts, als das Nützliche und Selbstverständlichste mit Schönheit verklären ...«, schrieb Walter Curt Behrendt in der bisher bedeutendsten Monographie über den Baukünstler und Architekten Alfred Messel.1)
     Diese Würdigung wurde zwei Jahre nach dem Tode des Berliner Architekten geschrieben, der am 24. März 1909 starb und auf dem Friedhof Matthäus I in Schöneberg, Großgörschenstraße, beigesetzt wurde. Das erhaltene Familiengrab ist im 90. Todesjahr von Alfred Messel ein angemessener Ort des Gedenkens.
     Sein enger Gefährte Ludwig Hoffmann (s. S. 58) begleitete ihn in einer Lebensfreundschaft, die heute noch in konkreter Architektur anschaulich ist: das weltbekannte Pergamon- Museum und das Säuglingsheim zur Bekämpfung der Kindersterblichkeit, Auguste- Viktoria- Heim, Heubner-

weg 4–10. Diese baulichen Komplexe wurden im gemeinsamen Ideenaustausch geboren und sind in enger Zusammenarbeit gewachsen. Alfred Messel und Ludwig Hoffmann waren gleichgesinnte und zuweilen beinahe gleich bauende Architekten.
     In der Öffentlichkeit mag der Name Ludwig Hoffmann bekannter sein, da er im Amt des Stadtbaurates von Berlin von 1896 bis 1924 nicht nur das Stadtbauamt verwaltete, sondern auch die öffentlichen Bauten der Stadt selbst entwarf. Der umfangreiche und im Landesarchiv Berlin aufbewahrte Briefwechsel zwischen Messel und Hoffmann läßt nachvollziehen, wie Geisteshaltung und Lebensgesinnung beide verband.2)
     Alfred Messels Persönlichkeit zu würdigen erfordert, seine schöpferische Leistung aus seiner Zeit heraus zu betrachten. So charakterisierte Fritz Stahl 1910 für ein Sonderheft einer Berliner Architekturzeitung Alfred Messels Bedeutung mit der Feststellung »...er hat die Baukunst wieder hergestellt«. Stahl spricht von »polytechnischer Architektur, die empfindungslos alte Formen wiederholte ...«, und von der »bloßen Konstruktion«, der »Nacktheit des zweckmäßigen Baukörpers«. »Von diesen beiden entgegengesetzten, aber gleich gefährlichen Irrtümern, von den polytechnischen und dem amerikanischen, hat uns Messel befreit.
     Als er starb, herrschte, durch ihn erworben, wieder die Einsicht, daß es keinen Wider-
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spruch zwischen Konstruktion und schöner Form gibt ...«3) Und er fügt hinzu, daß Alfred Messel keines jener künstlerischen Sonntagskinder gewesen sei, die im genialen Spiele siegen, er konnte nur Schritt für Schritt vorwärts dringen.
     Es ist schwierig, diesen Weg nachzuvollziehen, denn zahlreiche Bauwerke, so das Kaufhaus Wertheim am Leipziger Platz (siehe unser Titelbild), sind durch Kriegszerstörungen und nachfolgenden Abriß nicht mehr vorhanden. Der persönliche Nachlaß des Architekten und Baukünstlers wurde vernichtet oder ist verschollen. Doch die erhalten gebliebenen Villen und Landhäuser, Geschäftshäuser, Siedlungen, das von Ludwig Hoffmann vollendete Pergamon- Museum am Kupfergraben sowie die auf historischen Fotos festgehaltenen Bauten zeigen die Tendenz zur Architektur für großstädtische Lebensformen mit menschlichem Maß.
     Der genossenschaftliche Siedlungsbau in der Großstadt Berlin wurde von Alfred Messel erstmalig als ein ernsthafter Architekturbereich entdeckt und zu einer gemeinschaftsbildenden Architektur entwickelt, wie zum Beispiel die Siedlung Proskauer Straße (1897–1898) zeigt. (BM 11/98) In einer lebendigen Architektur ist Baukunst eine Proportionskunst, eine Maßkunst. »Messel war der Erste, der diese Zusammenhänge empfand, der die zentrale Wichtigkeit der Proportionen begriffen hat und dem es gelang, den Alten dieses
Geheimnis abzulernen ... Messels Arbeiten kann man sehen, auch wenn man von alten Meisterwerken kommt.« Seine Proportionen sind empfunden, und darum stimmen sie auch dort, wo er kein altes Vorbild hatte, wo die neue Zeit ihm nie erprobte Größenverhältnisse aufzwang. So schrieb August Endell 1909 und war voller Begeisterung. »Die Hoffnung auf eine eigene lebendige Architektur ist wiedergekehrt. Das danken wir Alfred Messel.«4)
     Seine Kindheit und Jugendjahre verbrachte Messel in Darmstadt, wo er am 22. Juli 1853 als Sohn eines Bankiers geboren wurde. Das Charakteristische dieser klassizistischen Residenz in einer verhalten geschwungenen Höhenlandschaft mit schönen Buchenwäldern hatte das Wesen des empfindsamen jungen Mannes schon früh geprägt. Als Gymnasiast durchstreifte er gemeinsam mit seinem Jugendfreund Ludwig Hoffmann Stadt und Landschaft, der Wunsch, Architekt zu werden, nahm bei beiden mehr und mehr Gestalt an. Für die Zulassung zum preußischen Staatsexamen war ein Jahr praktische Vorbildung bei einem Baubeamten erforderlich. 1873 wurden die Freunde Baueleven bei einem Baubeamten in Kassel, der sie jedoch mit der stupiden Anfertigung von Abschriften betraute.
     Um die triste Zeit als Baueleve zu überstehen und um die zeichnerischen Fähigkeiten zu festigen, beschäftigten sie sich drei Tage
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Alfred Messel mit Familie
in der Woche nach einem Lehrplan von Prof. Stiegel in der Kunstakademie Kassel mit Zeichnen, Aquarellieren, Modellieren und Aktstudien. Vorausgegangen sind Landschaftszeichnungen von Alfred Messel, die seine Freude an malerischen Dörfern und ehrwürdigen Ruinen spüren lassen.
     1874 begannen beide an der Bauakademie in Berlin ein vierjähriges Studium. »In der Bauakademie am Schinkelplatz meldeten sich mit uns etwa 250 Studierende der Architektur, im folgendem Jahre lockte die Gründerzeit sogar 350 Studierende an«, erinnert sich Ludwig Hoffmann. »So begannen wir mit 600 jungen Kollegen den Kampf
um die Zukunft, fast alle gehörten zu den von uns so sehr gefürchteten klugen Preußen. Was konnten wir zwei bescheidene Hessen dafür später erwarten? Ob uns wohl jemals das Glück blühen würde, selbständig einen Bau ausführen zu können, haben wir uns manchmal gefragt.«5)
     Nach Abschluß der Studienzeit übernahm Alfred Messel 1878 die Aufgaben eines Bauführers für die Errichtung des Hauptpostamtes in der Spandauer Straße. Das Examen eines königlich- preußischen Baumeisters bestand er erst im zweiten Staatsexamen 1882, nachdem er sein vorerst unerkanntes Talent mit dem Sieg im Schinkel- Wettbe-
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Entwurf zum Pergamon-Museum
werb (1881) beweisen konnte. 1882 erfolgte Alfred Messels Anstellung als Regierungsbaumeister. Mit dem Geldpreis aus dem Schinkel- Wettbewerb ermöglichte er sich 1883 und 1884 Studienreisen nach Italien, Frankreich, England und Spanien. 1886 vollbrachte er mit dem Bau des Geschäftshauses Werderstraße Ecke Kurstraße seine erste selbständige Bauleistung. Mit seinen großstädtischen Wohnhäusern erwarb sich Messel öffentliche Anerkennung. Während seine Villen- und Landhausbauten am Rande der Großstadt eine verträumte Attraktivität hatten, zeigten die Wohnhäuser im Stadtzentrum Berlins sein Bestreben, »neue Typen des Hauses zu schaffen«, und es »...waren dann wieder die Mittel zur Verfügung, auch der schmückenden Phantasie freien Spielraum zu verstatten«.6) » ... die Liebe für schlanke, schmale Formen und für einfache Ornamentik ... zeigen die Wohnhäuser ..., die Volkskaffeehäuser in der Chausseestraße und der Neuen Schönhauser Straße, ... und die Häusergruppen am Kurfürstendamm. Ja selbst in den bescheidenen Kleinwohnungshäusern ist etwas von dem Reize seiner Handschrift zu spüren.«7)
     1893 heiratete Alfred Messel Elsa Altmann und bezog mit ihr eine Wohnung in der Schellingstraße 4, wo auch das erste Kind, Ena, im gleichen Jahr geboren wurde. Messel erwarb sich Anerkennung, seine Meinung war gefragt. Der »Berliner Lokal- Anzeiger« löste 1904 im Zusammenhang mit Plänen, das Brandenburger Tor zu unter-
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tunneln, eine heftige Diskussion mit der Frage aus: Soll der Pariser Platz geopfert werden? Die Ansicht Alfred Messels wurde wie folgt angekündigt: »An die Spitze stellen wir den Warnruf eines Baukünstlers, der der Öffentlichkeit soeben eine Kunstschöpfung übergab, die seinen Namen auf aller Lippen gebracht hat.« Im Sommer 1906 hatte Alfred Messel die Stellung als Architekt der Königlichen Museen angetreten und einen Entwurf für das Pergamon- Museum entwickelt. Wilhelm von Bode bezeichnete diesen Entwurf einer nach Westen sich öffnenden monumentalen Dreiflügelanlage als genial. Am 23. August
Gemeint war das Warenhaus Wertheim. Karl Scheffler würdigte diese geniale Architektur der Jahrhundertwende in seiner einleitenden Betrachtung zum Buch über Alfred Messel von Walter Curt Behrendt. Diese 1911 im Verlag Bruno Cassirer publizierte Messel- Monographie wurde 1998 wieder aufgelegt. In einem Nachwort zu dieser Ausgabe schreibt Fritz Neumeyer: »Alles Enge und Krämerhafte früherer Basare gehörte in diesem Kaufhaus der Vergangenheit an ... Ähnlich Pariser und Chicagoer Vorbildern, gruppierte Messel einen einzigen, von Säulen getragenen, endlosen Raum um einen riesigen Lichthof, dessen Galerie den freien Blick durch die Stockwerke auf die Verkaufstische ermöglichte und dazu einlud, sich in der Menschenmenge und in der Fülle der Warenwelt zu verlieren.«8)

Volkskaffeehaus in der Neuen Schönhauser Straße
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1906 fanden die Pläne die Zustimmung des Kaisers. Er, der anfänglich Messel als einen »Hypermodernen« abgelehnt hatte, konnte ihm seine Anerkennung nun nicht versagen.
     Die intensive Arbeit an diesem Projekt wurde durch gesundheitliche Schwierigkeiten beeinträchtigt. Ludwig Hoffmann erinnert sich, »... daß mancherlei Beschwerden Alfred Messel ein vorsichtiges Leben geboten. Immer seltener ging er in sein Atelier und lag oft gut eingepackt auf der Veranda seiner Wohnung an der Regentenstraße. Die Zeichnungen ließ er sich in seine Wohnung bringen und korrigierte da jedes Detail.« Alfred Messel schrieb nach Vollendung seiner ersten Skizzen an Ludwig Hoffmann, daß es verzweifelte Versuche und eine lange vergebliche Quälerei waren. »Um so glücklicher war er, als sein weiteres Arbeiten ihn bei Zusammenfassung der einzelnen Bauteile zu einem überaus ruhigen, um ein stattliches Forum entwickelten Baukörper von höchster monumentaler Wirkung geführt hatte. Mit der Durcharbeitung des Entwurfs hatte er begonnen. Da wurde sein Zustand immer schwächer.«9)
     Die letzten Worte, die Alfred Messel zu seinem Freund sprach, waren die Bitte, seine Arbeit nicht im Stich zu lassen. Auf einer Reise nach Athen – in Brindisi – erreichte Ludwig Hoffmann die schmerzliche Nachricht, daß Alfred Messel am 24. März 1909 im Alter von 55 Jahren gestorben war.
     Ludwig Hoffmann erfüllte das Vermächt-
nis des Freundes. Schon am 16. Oktober 1909 hatte Hoffmann den Grundriß Messels baureif ausgearbeitet. Am 10. Dezember 1909 wurde der Vertrag zwischen dem Kultusminister und Ludwig Hoffmann unterzeichnet. In einem Artikel zum 20. Todestag von Messel schrieb Hoffmann in der »Deutschen Allgemeinen Zeitung«: »... so soll der Bau doch als Messels Bau in seinem Sinne zu Ende geführt werden.«10)

Quellen:
1     Walter Curt Behrendt, Alfred Messel, Gebr. Mann Verlag, Berlin 1998
2     Siehe Volker Viergutz, Neue Erwerbungen und Zugänge im Landesarchiv 1998. Der Nachlaß Ludwig Hoffmann, in: Berlin in Geschichte und Gegenwart. Jahrbuch des Landesarchivs Berlin 1990
3     Fritz Stahl, Alfred Messel, in: »Berliner Architekturwelt«, Heft 9, 1911, Seite I
4     August Endell, Alfred Messel, in: »Neue Revue und Morgen«, Heft 14, 1909, Seite 493 ff.
5     Ludwig Hoffmann, Erinnerungen an Alfred Messel. Zum 20. Todestag (24. März), in: »Deutsche Allgemeine Zeitung« vom 24. März 1929
6     Fritz Stahl, a. a. O., Seite II
7     Fritz Stahl, a. a. O., Seite IV
8     Walter Curt Behrendt, a. a. O., Seite 141
9     Ludwig Hoffmann, a. a. O.
10     Ebenda

Bildquellen: Archiv der Berliner Bau- und Wohnungsgenossenschaft 1892

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Berlinische Monatsschrift Heft 3/99
© Edition Luisenstadt, 1999
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