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entsprechend unterzubringen und zu beköstigen. Allerdings kam bereits in diesen frühen Zeiten das Vergnügen nicht zu kurz, denn nach dem »abindtessen« hat man getanzt, jedoch außerhalb des Schlosses, in einem »nuwe hus hinden uf den grabin«, und am Tage darauf gab es – natürlich! – das Turnieren, das »stechin uf die ban vor das sloß«.1)
     Neue Anstöße erhielt das Berliner Hofleben durch den Ausbau der kurfürstlichen Residenz. Hinzu kam zudem, daß der Prunk und die Pracht, wie sie an den europäischen Fürstenhöfen des 16. und 17. Jahrhunderts längst gepflegt wurden, allmählich herüberschwappten. Dies führte auch zum Umbau des Schlosses durch Caspar Theiß seit 1538 unter Kurfürst Joachim II. »Hektor« (1505–1571; Kurfürst seit 1535) und später durch Lynar, Schlüter und Eosander von Göthe. Einen Eindruck vom neuen Glanz und Glamour am Berliner Hof des ausgehenden 16. Jahrhunderts vermittelt das 1581 veranstaltete Tauffest von Christian (1581–1655), eines von 23 (!) Kindern des Kurfürsten Johann Georg (1525–1598; Kfst. seit 1571). Christian sollte 22 Jahre später (1603) Markgraf von Bayreuth werden.
     Chronist Peter Hafftitz hat das Ereignis von 1581 festgehalten und berichtet, wie es vor allem auf der Stechbahn hoch herging. Es ward »ein stattlich Ringrennen gehalten, auf welchem man viel schöner und wunderbarlicher Erfindungen gesehen mit man-
Herbert Schwenk
»Die ganze Nacht wurde in Spielen und Tänzen hingebracht«

Vom Glanz und Glamour am Berliner Hof

Als der brandenburgische Kurfürst Friedrich II. »Eisenzahn« (1413–1471; Kfst. seit 1440) im Frühjahr 1451 sein neues Schloß zu Cölln an der Spree bezogen hatte, bewegte sich das kurfürstliche Hofleben zunächst in relativ bescheidenen Bahnen. Der Zeitgeist des Mittelalters, vor allem aber die begrenzten und beengten Räumlichkeiten im damaligen Schloß, ließen nur eingeschränkte Festlichkeiten zu. Im August 1470 zum Beispiel mußte Kurfürst Albrecht Achilles (1414–1486; Kfst. seit 1470), Bruder und Nachfolger von »Eisenzahn«, für seinen Besuch in Berlin noch vorab »anmelden«, daß man ihm »auf dem oberen boden ... ein frauenzymmer zuricht«. Und als Kurprinz Johann (später Kurfürst Johann »Cicero« [1455–1499; Kfst. seit 1486]), Sohn des Kurfürsten Albrecht »Achilles« und Neffe von Friedrich II. »Eisenzahn«, im August 1476 heiratete, gab es erhebliche Schwierigkeiten, die »kleine« Hochzeitsgesellschaft von 1 000 fürstlichen und ritterlichen Personen auch

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cherlei Saitenspielen«. Und natürlich hatte man auch »ein schönes Feuerwerk angezündet, welches etliche tausend Schüsse gehabt, in der Gestalt einer viereckigen Festung, mit Soldaten besetzt, und haben die Büchsenmeister viel merklicher Possen getrieben mit Stechen, Fechten in allerlei Wehren, die alle voller Schüsse gewesen, als wären's feurige Rosse und Männer, auch seltsame Feuerkugeln aus dem Wasser lassen fahren, welche, wenn sie in die Höhe kommen, grausam Feuer um sich geworfen, welches fast bei zwei Stunden gewährt«.2)
     Verbesserte Verkehrsverhältnisse und ein allgemeiner Landfriede ermöglichten es, die für den Unterhalt eines vergrößerten Hofes von etwa 400 Personen und über 200 Pferden benötigten Lebensmittel und Güter zu beschaffen. In den vielen Dörfern der Umgebung Berlins bestand landesherrliches Grundvermögen – früher »Ämter« oder »Kammergut«, im 18. Jahrhundert »Domänen« genannt. Immerhin existierten zu Beginn des 18. Jahrhunderts noch in 30 der 58 Dörfer der Umgebung Berlins Domänen. Vor allem sie sicherten die Versorgung des Hofes mit Naturalien. Sammelpunkt war das kurfürstliche Amt Mühlenhof am Mühlendamm als zentraler Punkt der kurfürstlichen Gutswirtschaft. Vom Mühlenhof mußte auch die große Anzahl von Pferden versorgt werden. Um den Verbrauch zu sichern, standen dem Hof 1659 unter anderem aus den sogenannten Ämtern zur Verfü-
gung: 68 Wispel Weizen, 1 000 Wispel Roggen, 300 Wispel Malz und 360 Wispel Hafer.3) (Der »Wispel« war bis 1871 in Norddeutschland gesetzliches Getreidemaß; in Preußen hatte der Wispel gesetzlich 24 Scheffel = 13,191 Hektoliter; im größeren Handel aber gewöhnlich 25, bei Hafer 26 Scheffel).
     Die Mengen an Weizen, Roggen, Malz und Hafer dürften allerdings für die Hofhaltung kaum ausgereicht haben. Dies zeigt ein Blick auf die Angaben im Hinblick auf den Verbrauch unter Friedrich Wilhelm dem Großen Kurfürsten (1620–1688; Kfst. seit 1640). In einem »Extrakt der Viktualien und Gewürze, so wöchentlich erkauft und vertan wird« aus dem Jahre 1659 heißt es dazu: 10 Stiere, 40 Schafe, 20 Kälber, 6 Bratschweine, 12 Gänse, 6 Lämmer, 60 Hühner, 10 Schock Eier, 10 Puter, 6 Seiten Speck, 3 Schinken, 6 Stück »treig« [getrocknetes] Rindfleisch, 1/2 Tonne Heringe, 6 Fäßchen Austern, 1 »treigen« Lachs, 30 Zitronen, 1 1/4 Tonne Salz, 30 Limonen, 20 Pfd. Kirschmus, 40 Pfd. Pflaumen, 1/2 Tonne Hafergrütze, 8 Pfd. Kapern, 15 Pfd. Reis, 1 Tonne weißes Mehl, 6 Pfd. »treige« Kirschen, 1/2 Tonne »Wit« [Weiß]fisch, 4 Pfd. Perlgraupen, 10 Pfd. Prunellen, 6 »treige« Rindzungen, 4 Lot Safran, 16 Lot Nelken, 4 Pfd. Pfeffer, 4 Pfd. Ingwer, 50 Pfd. Zucker, 16 Lot Nüsse, 20 Lot Cannehl [Zimt], 10 Pfd. Rosinen, 10 Pfd. Korinthen, 4 Pfd. Mandeln, frische Fische und Wild.4)
     Wenn der Hofstaat an Besoldung, Kostgeld und ähnlichem im Jahre 1688 »erst« 54 589
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Taler benötigte, so stieg der Geldbedarf unter dem besonders prunksüchtigen ersten Preußenkönig Friedrich I. (1657–1713; König seit 1701) im Jahre 1712 auf stolze 157 647 Taler.5) Noch als Kurfürst Friedrich III. hatte er 1693 hinter der Klosterkirche einen sogenannten »Hetzgarten« anlegen lassen. Hier fanden zum Ergötzen des Kurfürsten und seines Anhangs blutige Schauspiele statt, bei denen Tiere aufeinander gehetzt wurden.
     Als erster König in Preußen gab Friedrich I. dann 1704 ein Luxusschiff in Auftrag, das an Pracht seine vier englischen Luxusjachten und fünf prunkvollen Galeeren mit je 18 Ruderbänken noch weit übertraf und dessen Überführung von Amsterdam über die Elbe, Havel und Spree erhebliche Schwierigkeiten bereitete und mehrere Monate dauerte. Nicht unerwähnt sollte der Aufwand der Krönungsfeierlichkeiten Friedrichs I. im Januar 1701 bleiben: Ganze 12 Tage brauchte der Troß von 200 Personen, um mit 30 000 Spannpferden nach Königsberg befördert zu werden. Und beim späteren Einzug des Königs in Berlin im Mai 1701 wurden 63 sechsspännige Karossen gezählt ...
     Schon die Feierlichkeiten ein Jahr zuvor anläßlich der Vermählung von Prinzessin Louise Dorothea Sophie (1680–1705), der einzigen Tochter des späteren Königs Friedrichs I., mit dem Erbprinzen Friedrich von Hessen-Kassel (1676–1751) bezeugen ein bemerkenswertes Bild von der Prunksucht
des ersten Königs in Preußen. Eine detaillierte Beschreibung der Hochzeitsereignisse aus dem Jahre 1700 geht auf den Historiker und Direktor am Neuen Museum in Berlin, Leopold Karl Wilhelm Freiherr von Ledebur (1799–1877), zurück, die er nach zeitgenössischen Berichten erstellt hatte.6) Pikantes Detail am Rande: Die Brautleute hatten mit dem Kurfürsten Georg Wilhelm von Brandenburg (1595–1640; Kfst. seit 1620) einen gemeinsamen (!) Urgroßvater: Prinzessin Louise Dorothea Sophies Vater, Kurfürst Friedrich III./König Friedrich I., war der Sohn des Großen Kurfürsten, dessen Vater Kurfürst Georg Wilhelm war und Erbprinz Friedrichs Vater, Landgraf Karl von Hessen-Kassel seit 1675, war der Sohn von Hedwig Sophie (1623–1683), deren Vater ebenfalls Kurfürst Georg Wilhelm war.
     Schon nach der Verlobung der Prinzessin und des Erbprinzen im Januar 1700 waren »Feste auf Feste« gefolgt. Lange und gründlich wurden dann die Feierlichkeiten zur Vermählung vorbereitet. Immerhin standen enorme Aufwendungen für Beköstigung, Unterkunft und Bekleidung ins Haus; allein der gesamte Hofstaat, die Leibgarde, mehrere Regimenter, die dem Einzuge beiwohnen sollten, waren neu einzukleiden, obendrein meist mit Importen aus Frankreich. Hinzu kamen höchste Aufwendungen für »Rahmenveranstaltungen« wie Ballette und Opern, zu denen die namhaftesten ausländischen Künstler verpflichtet werden
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mußten. So verging die Zeit einigermaßen schnell bis zum 28. Mai, dem Tag des Einzugs der hessischen Herrschaften in Berlin. Immerhin ließen es sich der Landgraf mit seiner Gemahlin, der Erbprinz und Prinzessin Sophie nicht nehmen, mit einem Troß von 300 Personen und 350 Pferden zu erscheinen, darunter 12 Pagen, acht Trompeter, 20 Lakeien und 30 Leibgardisten. Nachdem der Berliner Hof mit dem Kurfürsten an der Spitze die Gäste aus Hessen vor dem Georgentor willkommen geheißen und über 100 Böllerschüsse »auf den Wällen« das Großereignis kundgetan hatten, erfolgte der vierstündige Einzug in Berlin, allein dessen Beschreibung Ledebur 37 Punkte einräumt. Vom Georgentor bis zum Schloß bildete die Berliner Bürgerschaft mit ihren Zünften Spalier, und Türen und Fenster sowie Giebel und Dächer waren mit Menschen gefüllt. Beim abendlichen Begrüßungsbankett wurden die Gäste mit »unlängst aus Augsburg« angekommenen großen Silbergefäßen überrascht. Serviert wurden 46 verschiedene Gerichte in vier Gängen. Für Minister und Hofbeamte waren in den Nebengemächern noch einmal drei Tafeln angerichtet, für die Hofdamen drei weitere. Auch an den beiden folgenden Tagen, die der Hochzeit noch vorangingen, am 29. und 30. Mai, fanden ähnliche große Festmahle statt. Und dann erst der Hochzeitstag selbst! Allein das Kleid der Braut war so kostbar und daher schwer, daß sechs Hofdamen die gold- und edelsteinbe- setzte Schleppe nicht tragen konnten und zwei Brautpagen aushelfen mußten. »Das Unterkleid, sowie das Leibchen der Prinzessin waren vorn herunter ganz mit Diamanten besetzt; das Kostbarste aber war ihre Krone, die mit den schönsten Brillanten und Perlen besetzt war. Im Ganzen ward der Schmuck der Prinzessin auf 4 Millionen Thaler geschätzt.« An 86 Tafeln wurden 500 der erlesensten Gerichte sowie seltensten Konfitüren und Früchte serviert, während Lob- und andere Gedichte in verschiedenen Sprachen ausgebracht und schöne Medaillen verteilt wurden. Bis drei Uhr morgens tanzte man im glänzend erleuchteten großen Saale. Am nächsten Tag gingen die Festlichkeiten weiter: nachmittags mit einer großen Oper, und am Abend fand dann im Oranien-Saale eine »Maskerade« statt. Dann wurde die ganze Nacht abermals »in Spielen und Tänzen hingebracht«. Auch am dritten Tag ergötzte man sich zunächst am Kampf wilder Tiere im »Hetzgarten« an der Stadtmauer, ehe im Schloß dann eine weitere »Überraschung« folgte: Zum Mahle öffnete sich diesmal zur allgemeinen Überraschung die Decke, »und aus derselben ließ sich eine mit den köstlichsten Speisen bedeckte Tafel herab, die, als sie geleert war, noch viermal durch andere Tafeln ersetzt ward, während die frühere Tafel der folgenden dadurch Platz schaffte, daß sie sich in die Erde senkte und verschwand«. Der Abend dieses dritten Tages wurde mit einem
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riesigen Feuerwerk »auf dem Stadtwalle« gekrönt. Schließlich fanden die Hochzeitsfeierlichkeiten nach Stippvisiten der Gäste auf den Lustschlössern zu Oranienburg, Schönhausen und Rosenthal, bei ausgiebigen Mittagsmahlen langsam ein Ende. Nach einem Kirch- und Opernbesuch am 6. Juni, wobei selbstredend »zwischen den einzelnen Abtheilungen der Oper zur Tafel geführt« und anschließend getanzt wurde, erfolgte am Montag, dem 7. Juni 1700, die Abreise der »fremden Herrschaften«. Einen Tag später begaben sich die Neuvermählten und der »ganze Hof« nach Potsdam, um die neuen Bauten zu besichtigen und abermals an einer langen, diesmal »Perspectiv- Tafel« zu speisen.
     Aber alles geht einmal zu Ende, auch eine Hohenzollernhochzeit. Am 10. Juni 1700 mußte sich die Erbprinzessin Louise Dorothea Sophie schweren Herzens »unter vielen Thränen« von ihren Eltern und Berlin verabschieden, das sie zu ihrem Leid erst im Sommer 1704 wiedersehen sollte. Bereits im folgenden Jahr, am 23. Dezember 1705, verstarb sie. Friedrich hingegen segelte zehn Jahre später in einen neuen lukrativen Ehehafen: Er vermählte sich 1715 mit Ulrika Eleonora, der jüngeren Schwester Karls XII. von Schweden, dem diese auf dem Throne folgte – und so wurde Friedrich sogar noch König von Schweden (1720–1751). Allerdings wird von ihm berichtet, daß er nur noch »für die Freuden der Liebe, des Fischens und der
Jagd einiges Interesse hegte«, seine neue Gemahlin »in der rücksichtslosesten Weise vernachlässigte«, »die französische Maitressenwirtschaft auf schwedischen Boden verpflanzte«. Seine »Indolenz« (eine vornehme Bezeichnung für Faulheit und Trägheit) soll so groß gewesen sein, daß er sich zuletzt, nur um die Mühe der Unterschrift zu ersparen, einen Namenstempel anfertigen ließ. Wer weiß, ob das nicht alles die Spätfolgen der Erschöpfungen jener Gelage und Lustbarkeiten anno 1700 zu Berlin waren.

Quellen:
1     Zitiert nach Hans-Werner Klünner: Vom Hohen Haus zur »Burg« Kurfürst Friedrichs II., In: Goerd Peschken/ Hans-Werner Klünner: Das Berliner Schloß, 2. Auflage, Frankfurt am Main/Berlin 1991, S. 19
2     Zitiert nach: Wolfgang Schneider/Wolfgang Gottschalk: Berlin. Eine Kulturgeschichte in Bildern und Dokumenten, Leipzig/Weimar 1980, S. 94
3     Nach Felix Escher: Berlin und sein Umland, Berlin 1985, S. 80/81
4     Nach Wolfgang Schneider/Wolfgang Gottschalk: Berlin ..., a. a. O., S. 150
5     Nach Felix Escher: Berlin und sein Umland, a. a. O., S. 81
6     Zitiert nach: Goerd Peschken: Von der kurfürstlichen Residenz zum Königsschloß, In: Peschken/Klünner: Das Berliner Schloß, 2. Auflage, Frankfurt am Main/Berlin 1991, S. 60–68. Die folgenden Angaben und Zitate stammen aus dieser Quelle.

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