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helms I. (1797–1888, seit 1861 König von Preußen und seit 1871 Deutscher Kaiser), dem zweiten Sohn Friedrich Wilhelms III. (1770–1840, seit 1797 König von Preußen) und Königin Luise (1776–1810). Der kaiserliche Hof und die Kaisertreuen in ganz Deutschland hatten damals ihren großen Tag, und der Kaiser- Kult erreichte einen seiner Gipfel. Die dreitägige Berliner »Centenarfeier« (lat. centum = »hundert«) vom 21. bis 23. März 1897 wurde zum Großereignis.3) Im »Verzeichniß der im März 1897 in Berlin anwesend gewesenen Allerhöchsten und Höchsten Fürstlichkeiten nebst Gefolge« finden sich 57 Delegationen, darunter Seine Kaiserliche Hoheit Großfürst Wladimir von Rußland, Seine Kaiserliche und Königliche Hoheit Erzherzog Friedrich von Oesterreich und Seine Königliche Hoheit Kronprinz von Schweden und Norwegen. Die exorbitanten Festlichkeiten wurden mit der Enthüllung des Nationaldenkmals für Kaiser Wilhelm I. am 22. März 1897 gekrönt. Auf dem Festplatz zwischen Schloß und Denkmal waren Tribünen errichtet worden; die Allerhöchsten und Höchsten Herrschaften versammelten sich unter schützenden Baldachinen (»Zelten« und »Nebenzelten«) vor und im Eosanderportal (Portal III) des Schlosses, jenem von J. F. Eosander von Göthe (1669–1728) Anfang des 18. Jahrhunderts geschaffenen Hauptportal in der Westfassade als Nachbildung des Severusbogens in Rom. Die Chronisten
Herbert Schwenk
Pathos und Kunst in Erz und Stein

Vor 100 Jahren wurde das Nationaldenkmal für Kaiser Wilhelm I. enthüllt

Fast nichts deutet heute darauf hin, daß sich einst an dieser öden Stelle im mittleren Teil der Berliner Spreeinsel, am Spreearm auf dem Platz der ehemaligen Schloßfreiheit, eine der damals größten Denkmalsanlagen der Welt erhob. Der riesige Koloß aus Granit und 88,5 Tonnen Bronze hatte die Höhe eines vierstöckigen Gebäudes und stand hier bis nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges. Lediglich die auseinandergebauten monumentalen Löwengruppen wurden später im Tierpark Friedrichsfelde wieder aufgestellt: vor dem Alfred- Brehm- Haus anläßlich dessen Eröffnung 1963. Aber diese überlebensgroßen Kunstwerke von August Gaul und August Kraus waren einst »nur« Sockelfiguren vom monströsen Nationaldenkmal für Kaiser Wilhelm I.!
     Jenes Monument war weder einziges National-1) noch einziges Kaiser- Wilhelm- Denkmal2), wohl aber das repräsentativste und imposanteste. Es wurde vor 100 Jahren, am 22. März 1897, mit großem Pomp enthüllt. Anlaß war der 100. Geburtstag Wil-

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hielten fest, daß das Wetter zuerst trübe und unfreundlich war, sich jedoch aufhellte, »als die Truppen mit klingendem Spiel Unter den Linden Aufstellung nahmen«. Das enthusiastische Weihegebet von Generalsuperintendent Faber war dem Ereignis angemessen: »Weihe Selbst, o Herr, dies von begeisterter Liebe und edler Kunst geschaffene Denkmal, zu einem Steine des Zeugnisses, und laß die treuen Züge des Unvergeßlichen mit herzbezwingender Gewalt von Deiner Gnade und Ehre reden! Weihe es zu einem Opfersteine, da wir alljährlich mit unseren Frühlingsblumen neue Gelübde der Treue niederlegen für Kaiser und Reich, und da nach abermals hundert Jahren ein bewährtes und glückliches Volk Dir Danksagung thut im heiligen Schmuck!«.4) Seine Majestät der Kaiser persönlich gab den Befehl zur Enthüllung des Denkmals. »Während Matrosen das Herabhissen der Denkmalshülle mit größter Schnelligkeit besorgten, kommandirten Seine Majestä >Achtung! Präsentirt das Gewehr!< In das Hurrah der Truppen mischte sich das donnernde Hurrah der unzähligen Menge. Die Tambours schlugen, die Musikchöre spielten >Heil Dir im Siegerkranz<, und die im Lustgarten aufgestellte Batterie des 1. Garde- Feld- Artillerie- Regiments gab die vorgeschriebenen 101 Salutschüsse ab.«5) Es folgte ein eineinhalbstündiger Vorbeimarsch eines aus 16 Gruppen bestehenden Festzuges, darunter selbstredend eine Germania- Gruppe, Krieger- Verbände, die Gruppen des Alldeutschen Verbandes, der Deutschen Colonial- Gesellschaft, Schützen- und Sportvereine, religiöse und politische Vereine und zum Schluß akademische Verbindungen. Am Nachmittag fand im Weißen Saal des Königlichen Schlosses eine Galatafel statt, zu welcher »gegen 650 Einladungen ergangen waren«. In einem Trinkspruch erklärte Kaiser Wilhelm II.: »Es ist nicht Meines Amtes, hier Meines großen Vorfahren, Meines Herrn Großvaters Verdienste zu feiern. Was wir eben erlebt, und wie unser Volk sich benommen, kündet, wie lebendig alle Seine Werke, wie lebendig die gesammte Persönlichkeit des Verewigten vor Aller Augen steht.«6)
     Das Nationaldenkmal für Kaiser Wilhelm I. brachte exemplarisch das Bemühen zum Ausdruck, ein ganzes Zeitalter deutscher Geschichte zum »Zeitalter Kaiser Wilhelms«7) zu verklären. Alles, was in jener stürmischen Epoche Arbeitsfleiß und Erfindergeist hervorgebracht, was in Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Kunst geleistet, was Deutschland zur Bereicherung der Welt beigetragen, wurde mit dem Namen Kaiser Wilhelms verbunden: »In seiner ehrwürdigen Gestalt verkörperten sich die Erinnerungen einer großen Zeit, die patriotischen Hoffnungen eines Jahrhunderts, Ruhm und Ehre des deutschen Namens, alles Große und Stolze, was vaterländische Herzen bewegte.«8) Kaum etwas verkörpert den Weg zur Begründung des Deutschen
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Das Nationaldenkmal für Kaiser Wilhelm I. von Reinhold Begas (Gesamtansicht)
Reiches durch »Blut und Eisen« sinnfälliger als die Karriere des Prinzen Wilhelm. Noch nicht zehnjährig, erhielt er das Offizierspatent, »begleitete« als 16jähriger im Kapitänsrang seinen Vater im Krieg gegen Napoleon nach Frankreich, erhielt dort das Eiserne Kreuz, wurde im Jahr darauf Major, 1825 Generalleutnant und Kommandeur des Gardekorps und später General der Infanterie. Als »Kartätschenprinz« machte er besonders bei der Niederschlagung der 48er Revolution von sich reden: Er verlangte, daß der Berliner »Aufruhr« mit Waffengewalt niedergeschlagen wird, floh dann nach London, schlug im Juni 1849 den badisch- pfälzischen Aufstand nieder und wurde anschließend zum Militärgouverneur von Rheinland und Westfalen ernannt. Infolge der unheilbaren Krankheit seines Bruders König Friedrich Wilhelm IV. (1795–1861, seit 1840 König von Preußen) wurde der Prinz von Preußen 1857 zum Stellvertreter des Kö-
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nigs ernannt, 1858 als Prinzregent eingesetzt und am 18. Oktober 1861 in Königsberg zum König von Preußen gekrönt. In den Kriegen 1864, 1866 und 1870/71 zur »Reichseinigung von oben« erreichte Wilhelms Militärkarriere ihren Gipfel: Die preußischen Siege bei Königgrätz (3. Juli 1866), Gravelotte (18. August 1870) und Sedan (1. September 1870) wurden zu Eckpfeilern des späteren Wilhelm- Kults und – nach der Kaiser- Proklamation am 18. Januar 1871 in Versailles – zum Kaiser- Wilhelm- Kult.
     Unter Kaiser Wilhelm II. (1859–1941, Deutscher Kaiser seit 15. Juni 1888), Sohn des 99-Tage- Kaisers Friedrich III. (1831–1888, Deutscher Kaiser vom 9. März bis 15. Juni 1888) und Enkel des »Großen Kaisers«, wurde der Kult um seinen Großvater zum Bestandteil eigenen machtpolitischen Kalküls. »Wilhelm der Letzte«, der moderne Kunst als »Rinnsteinkunst« und »Dreckkunst« verunglimpfte, der nach eigenen Angaben keine Zeitungen las (»Was diese Schafsköpfe schreiben, ist Mir ganz gleichgültig«), dafür aber der Jagd ausgiebig frönte und schon 1902 seinen 50 000. Abschuß »feierte«, setzte mit dem Denkmal für Großvater Wilhelm schon mal auch ein Denkmal für sich selbst. »So wie Er dachte, denke auch Ich und sehe in dem Mir überkommenen Volke und Lande ein von Gott Mir anvertrautes Pfund, welches – wie schon in der Bibel steht – zu mehren meine Aufgabe ist und worüber Ich dereinst Rechenschaft abzu-
legen haben werde.«9) Er verglich seinen Großvater in einer seiner 577 in 17 Jahren öffentlich gehaltenen Reden mit dem Staufer Friedrich I. »Rotbart« (1122–1190) und mutmaßte mit üblicher schneidig- martialischer Großspurigkeit, »daß dereinst in künftigen Jahrhunderten die Ehrfurcht gebietende Gestalt Meines Großvaters mindestens ebenso von Sagen umwoben, so gewaltig und hochragend über alle Zeiten im deutschen Volke dastehen wird, wie einstens die Gestalt Kaiser Barbarossas ... Der Große Kaiser mit seinen großen Mithelfern hat die Basis gelegt, den Grundstein zum Gebäude, an uns ist der Ausbau!«10) Dazu konnte für ihn ein Nationaldenkmal in Erz und Stein nicht gewaltig genug sein – zumal an herausragendem Standort gegenüber der Schloßfront und dem Eosanderportal: eine ebenso pathetische wie kunstvolle Darstellung der Hohenzollernherrschaft und Kriegsverherrlichung, geistig und formal im Einklang mit Schlüters und Eosanders prunkvoller Schloß- Architektur.
     Noch im Jahr seiner Inthronisierung berief Wilhelm II. eine Anzahl bekannter Künstler und Gelehrter, darunter den Bildhauer Reinhold Begas (1831–1911) und den Historiker Heinrich von Treitschke (1834–1896) zu einer »Vorberatung«. Der Reichstag bewilligte am 23. Dezember 1888 100 000 Mark allein für die Ausschreibung eines ersten Wettbewerbs zum Denkmalsbau für Wilhelm I. (zum Vergleich: Die
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Kosten des Neptunbrunnens inklusive Künstlerhonorar und Modelle beliefen sich auf 500 000 Mark.) Jedoch keiner der 147 Denkmalsentwürfe erlangte, trotz Vergabe von Preisen, die Gunst des Kaisers. Zwei Jahre später, am 2. Juli 1890, schrieb der Reichstag einen zweiten Wettbewerb aus, zu dem ausdrücklich Reinhold Begas auf Befehl des Kaisers als Preisbewerber aufgefordert wurde. In Gemeinschaft mit Hofbaurat Ernst Ihne (1848–1917), dem Schöpfer des Neuen Marstalls, entstand ein Entwurf für eine Denkmalsanlage, der den Vorstellungen Wilhelm II. entsprach: ein Reiterdenkmal vor der Schloßkulisse, während andere Entwürfe meist den Platz vor dem Brandenburger Tor favorisiert hatten. Im Dezember 1892 erhielt Reinhold Begas den endgültigen Kaiser- Auftrag zur Ausführung des Denkmals. Der Reichstag setzte einen Kostenrahmen von rund vier Millionen Mark fest – das Achtfache der Kosten des Neptunbrunnens!
     Kaum ein anderer hätte das beabsichtigte Pathos kunstvoller in Erz und Stein ausdrücken können als jener Bildhauer, der in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts an die Stelle des steril gewordenen Spätklassizismus der Rauch- Schule den Kunststil des neubarocken Naturalismus gesetzt hatte: Reinhold Begas. Der dritte Sohn des Historienmalers Karl Begas (1794–1854), dem das bildnerische Talent bereits in die Wiege gelegt worden war, dessen Taufpaten Johann
Gottfried Schadow (1764–1850), Christian Daniel Rauch (1777–1857) und Ludwig Wichmann (1788–1859) waren und der bereits als Siebenjähriger Tiere in Ton und Wachs zu modellieren verstand, begann 1848 seine künstlerische Lehre im Atelier Rauchs. Die Frühphase seines Schaffens lag in Rom, Berlin und Weimar, wo er die für ihn typische kräftig- sinnliche Kunstauffassung kreiert und sich immer mehr in Widerspruch zur klassizistischen Tradition gebracht hatte. In dieser Zeit entstanden seine ersten Plastiken, darunter Pan- Gruppen (Panisken), Reliefs, Büsten und auch das erst am 10. November 1871 enthüllte Schiller- Denkmal auf dem Berliner Gendarmenmarkt. Nachdem Reinhold Begas 1865 in Berlin ansässig geworden war und zunächst weitere zahlreiche naturalistische Plastiken geschaffen hatte, erhielt er in den 70er Jahren zunehmend auch Aufträge für die bildnerische Ausgestaltung öffentlicher Gebäude, für die Gestaltung von Denk- und Ehrenmälern aller Art, darunter das Sitzmonument Alexander von Humboldts für die Berliner Universität (1883) sowie für die Anfertigung von Büsten zahlreicher Persönlichkeiten. Seit 1880 arbeitete Reinhold Begas am Schloßbrunnen (»Neptunbrunnen«), von vielen als das Hauptwerk des Künstlers betrachtet, das jedoch erst 1891 vor der Barockfassade des Berliner Schlosses aufgestellt wurde – als Huldigungsgeschenk der Stadt für Kaiser Wilhelm II. Damit hatte sich der
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Künstler als Hauptvertreter des Neubarocks etabliert und auch mit seiner Fähigkeit zur Darstellung des großen Pathos bei Hofe genügend empfohlen. In den folgenden Jahren schuf er seine monumentalsten Werke: die kolossale »Germania zu Pferd« auf dem Reichstagsgebäude, das Nationaldenkmal Kaiser Wilhelms I. und das Bismarck- Nationaldenkmal, das 1901 vor dem Reichstag aufgestellt und 1938 an den Großen Stern umgesetzt wurde. Seit 1888 machte sich Kaiser Wilhelm II. Begas' »Fähigkeit, auch in überdimensionalen Denkmälern eine unglaubliche plastische Kraft und Lebendigkeit zu entfalten, zur Verherrlichung seiner und seines Hauses Macht zunutze«.11) Begas' Kunst zur Gestaltung eines neuen vitalen Menschenbildes verband sich nach dem Regierungsantritt Kaiser Wilhelms II. mit dem Pathos der Macht und des Kriegskults und erhielt in des neuen Kaisers imperialen Ambitionen einen begeisterten Widerhall – und damit zugleich Mißbrauch. Der Kaiser und sein Bildhauer inszenierten das Monumentalwerk vor der gewaltigen Architekturkulisse des Berliner Schlosses. »Deutsche Geschichte schien sich mit dem >Weißbart auf des Rotbarts Thron< erfüllt zu haben.«12)
     Nachdem Begas' Entwurf im Dezember 1892 vom Kaiser zur Ausführung bestimmt und die erforderlichen Korrekturen am Entwurf vorgenommen worden waren (Aufhebung des von Ihne entworfenen architektonischen Hintergrundes und Ersatz durch
einen von Halmhuber und Begas ausgearbeiteten Plan), begann der damals 62jährige Begas am 7. November 1893 mit der Arbeit an der riesenhaften, neun Meter hohen Figur von Roß und Reiter, wobei allein der Kopf des Kaisers mit Gardehelm einen Meter maß. Selbst das Roß blieb »seinem Kaiser« treu: Als Modell diente Hippokrates, das frühere Leibpferd des Kaisers. Am 1. Januar 1895 war das Modell der Figur fertig, und die Vorbereitung zum Guß in eine Bronzefigur mit einer Wandung von fünf Millimeter Stärke und 1 770 Zentner Gewicht nach dem Wachsschmelzverfahren in der Gladenbeckschen Kunstgießerei konnte beginnen. Die Grundsteinlegung des Denkmals erfolgte am 18. August 1895, selbstverständlich am Gedenktag einer »großen« Schlacht (in diesem Falle des 25. Jahrestages der Schlacht bei Gravelotte). Das Monument wurde in nur eineinhalb Jahren auf einem traditionell schwierigen Baugrund der Spreeinsel und teilweise im Wasser des Cöllnischen Spreegrabens errichtet, was die Kanalbreite an der schmalsten Stelle auf 18 Meter einengte. Bei der Ausführung der Denkmalsanlage wurde Begas von mehreren Künstlern unterstützt, so von seinem Sohn W. Begas, von K. Bernewitz, L. Cauer, R. Felderhoff, A. Gaul und A. Kraus.
     Die imposante, insgesamt etwa 20 Meter hohe Gesamtanlage13) umfaßte einen erhöhten, terrassenförmig (über neun Stufen) ansteigenden »Festplatz« rings um das Reiter-
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standbild des Kaisers. Der halbkreisförmige Platz war vom Schloß aus »bequem zu betreten« und »geeignet für nationale Feste aller Art«. Er erhielt seinen »hinteren« Abschluß zur Wasserseite durch eine monumentale aus gelblichem Sandstein bestehende Säulenhalle in ionischen Stilformen, die sich bis zu einer Höhe von 12 Metern über das Straßenniveau erhob. Ihre Eckpunkte bildeten zwei pavillonartige Kuppelbauten, die je ein in Kupfer getriebenes, von einer »heldenhaften Frauengestalt« geführtes Viergespann trugen, das in den Abmessungen ähnlich der Quadriga des Brandenburger Tores war. Die stark durchbrochene Gestaltung von Halle und Pavillons sicherte, daß Schloß und Reiterstandbild von allen Seiten gesehen werden konnten. Vor diesem Hintergrund, der mit seiner reichen Ornamentik in künstlerisch harmonischem Einklang mit dem Eosanderportal des Schlosses stand, erhob sich das Reiterdenkmal für den Kaiser. Abermals neun Treppenstufen führten zu einer Plattform, auf der sich ein elliptischer Unterbau aus dunkelrotem, poliertem schwedischen Wirbogranit erhob, dem sich vier radial gestellte, weit vorspringende kleinere Sockel (Postamente) angliederten, auf denen vier gewaltige bronzene Löwen in verschiedenen Stellungen (fauchend, brüllend, lauernd und ruhend) mit Kriegstrophäen lagerten, »wachthaltend über der errungenen Siegesbeute«. An beiden Langseiten des steinernen Denkmal- unterbaues befanden sich, auf der obersten Stufe der Treppe sitzend, die Kolossalgestalten (dreifach lebensgroß) des Krieges (»muskulöse Gestalt eines jungen Kriegers, die Kriegsbereitschaft des Deutschen Reiches trefflich verkörpernd«) und des Friedens (»jugendlich kräftiger Mann mit gelocktem Haar«). Auf diesem mächtigen Unterbau thronte schließlich hoch zu Roß, »von dem Genius des Friedens geleitet«, Begas' Reiterstandbild Wilhelms I., bei dessen zeitgenössischer Beschreibung die Chronisten in ein machtvolles Crescendo fielen: »Hoheit, Würde und Milde thronen auf dem Antlitz des Herrschers, dessen Heldengestalt der Künstler in der Auffassung wiedergegeben hat, wie ihn das Volk kurz nach dem Kriege von 1871 erschaute, in der Rüstigkeit und Frische des Körpers und Geistes, und wie er noch heute in der Erinnerung des deutschen Volkes fortlebt.«14)
     Dieses »Heute« ist lange her, und fast alles hat sich seitdem verändert. Vom Winde der Geschichte verweht sind Kaiser- Kult samt Denkmälern. Pathos und Machtsymbole der Hohenzollern in Erz und Stein sind versunken, jedoch die Kunst, mit der sie geschaffen, bleibender Erinnerung wert. Reinhold Begas' Kunst am ehemaligen Nationaldenkmal für Kaiser Wilhelm I. gehört dazu.

Anmerkungen und Quellen:
1     Schon 1821 war in Berlin das Nationaldenkmal auf dem Kreuzberg (von Karl Friedrich Schin-

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kel), eine 20 Meter emporsteigende gußeiserne Spitzsäule, aufgestellt worden; 1883 kam das Nationaldenkmal auf dem Niederwald am Rhein (von Johannes Schilling) hinzu, eine über zehn Meter aufragende bronzene Kolossalfigur der Germania auf einem 25 Meter hohen Sockel; es folgten in Berlin nach dem Nationaldenkmal für Kaiser Wilhelm I. noch die Nationaldenkmäler für den Fürsten Bismarck (1901 von Reinhold Begas) und für Kaiser Friedrich III. (1904 von R. Maison).
2     Vor 1933 war niemand öfter als Kaiser Wilhelm I. verewigt worden: Allein in den vier Jahrzehnten zwischen 1867 und 1907 wurden in den größeren Städten Deutschlands etwa 350 Denkmäler für den »alten Wilhelm« aufgestellt.
3     Das Ereignis ist umfassend dokumentiert in: Die Berliner Centenarfeier für Kaiser Wilhelm den Großen vom 21. bis 23. März 1897. Denkschrift. Auf Beschluß des Vorstandes für die bürgerliche Centenarfeier in Berlin, hrsg. von Karl Julius Müller, Berlin 1897
4     Zit. nach ebenda, S. 72
5     Ebenda, S. 72
6     Zit. nach ebenda, S. 74
7     Otto Hintze: Die Hohenzollern und ihr Werk. Fünfhundert Jahre vaterländischer Geschichte, Berlin 1915, S. 673
8     Ebenda, S. 675
9     Kaiser Wilhelm II. beim Festmahl des Brandenburgischen Provinziallandtages am 5. März 1890 im Hotel Kaiserhof in Berlin, In: Reden Kaiser Wilhelms II., zusammengestellt von Axel Matthes, München 1976, S. 22
10     Kaiser Wilhelm II. beim Festmahl im Hamburger Rathaus am 20. Juni 1903, In: Ebenda, S. 124/125
11     Irmgard Wirth: Die Künstlerfamilie Begas in Berlin. Achte Veröffentlichung des Berlin Museums, Berlin 1968, S. 15/16
12     Peter Bloch: Denkmal und Denkmalkult. In: Ethos und Pathos. Die Berliner Bildhauerschule 1786–1914. Beiträge mit Kurzbiographien Berliner Bildhauer. Hrsg. von Peter Bloch, Sibylle Einholz, Jutta von Simson. Staatliche Museen Preußischer Kulturbesitz, Berlin 1990, S. 200
13     Eine ausführliche Beschreibung des Nationaldenkmals für Kaiser Wilhelm I. in: Die Denkmäler Berlins. Ihre Geschichte und Bedeutung. Ein kunstgeschichtlicher Führer für Einheimische und Fremde von Hermann Müller- Bohn, Berlin 1897, S. 6–12 (Nachauflage Berlin 1905, S. 7–11)
14     Ebenda, Nachauflage Berlin 1905, S. 11
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