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Hans Aschenbrenner
21. März 1876:
Einweihung der Nationalgalerie

Nach annähernd neunjähriger Bauzeit wird am 21. März 1876 die Nationalgalerie als Ausstellungsgebäude für neuere deutsche Kunst eingeweiht. Erbaut wurde sie nach Entwürfen von Friedrich August Stüler (1800-1865) unter Leitung von Johann Heinrich Strack (1805-1880) zwischen Neuem Museum und Spree, etwas nördlich versetzt. Die »Vossische Zeitung« teilt ihrer Leserschaft mit: »Am gestrigen Tage, den 21. d. M., eröffnete der Kaiser ohne eine weitere äußere Feierlichkeit durch seinen Besuch das zur Vollendung gebrachte, mit den ihr gehörigen Kunstwerken ausgestattete und für diesen Tag in ihrem Innern auch mit Treibhausgewächsen geschmückte Gebäude der Nationalgalerie. Jener prächtige sandsteinerne Tempel, welcher sich nun dort über dem geebneten, seiner alten Trümmer und Ruinen entledigten Platz hinter dem Säulengange, der ihn von der Straße sonderte, auf seinem mächtigen Unterbau erhebt, hat eine lange Geschichte.«

     Am 22. März 1876, es ist der Geburtstag von Kaiser Wilhelm I. (1797-1888), eilen unzählige Interessierte und Schaulustige zu dieser neuen, nach dem Alten Museum (1830 eingeweiht) und dem Neuen Museum (1855 eingeweiht) nunmehr dritten Schatzkammer der Kunst auf der weiter Gestalt annehmenden Museumsinsel. Die innerhalb eines von dorischen Kolonnaden umgebenen Gartenplatzes in Form eines korinthischen Tempels errichtete Anlage der Nationalgalerie erlebt einen solchen Besucheransturm, daß man sich alsbald entschließen muß, nicht mehr als 500 Personen gleichzeitig in die Räumlichkeiten hineinzulassen.
     Genannte »Vossische Zeitung« widmet sich diesem Ereignis übrigens besonders eingehend. Dem ersten Artikel folgen weitere in den Ausgaben vom 2. und 5. April 1876. Ihre Autoren geben darin zunächst »einen Rückblick auf die Vorgeschichte beider, des Tempels und der Galerie«, um dann »nach Betrachtung der Außenseite des Tempels in sein Inneres, zunächst sein Erdgeschoß« zu treten und abschließend »die Anlage und Vertheilung der inneren Galerieräume des oberen und des obersten Geschosses« zu beschreiben.
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Briefkopf der Nationalgalerie, 1885

     Wie widersprüchlich in der Tat der Plan der Schaffung einer Nationalgalerie in den vorangegangenen Jahren von der Öffentlichkeit aufgenommen wurde, wie heftig darüber diskutiert und gestritten worden ist, offenbart die »Vossische«, deren Autor uns Zeit- und Lokalkolorit vermittelt: »Nachweislich ist es diese, unsere Vossische Zeitung, in welcher zuerst, lange ehe von irgend einer Seite her das Wort genannt, der Gedanke ausgesprochen worden wäre, der Plan angeregt ist, in Berlin eine National-Galerie für die hervorragendsten, vom Staat zu erwerbenden Werke der Kunst der Gegenwart mit besonderer Bevorzugung der deutschen, zu begründen. Herr R. Fischer war es, der 1850 in seinen Kunst-Ausstellungskritiken hier diesem Gedanken wiederholt beredten Ausdruck lieh. Ich besinne mich sehr deutlich, daß damals von vielen weisen Leuten sein Vorschlag achselzuckend und lächelnd als ein utopischer Traum behandelt wurde.«
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Gebührend gewürdigt wird in der Öffentlichkeit jener Zeit, und natürlich auch später noch, der Berliner Bankier und Kaufmann Joachim Heinrich Wilhelm Wagener (1782 - 1861). Dessen testamentarische Verfügung vom März 1859, die von ihm während seines Lebens erworbene Sammlung von zeitgenössischen Gemälden überwiegend deutscher, aber auch einiger französischer, belgischer und österreichischer Maler dem preußischen Regenten Prinz Wilhelm als dem zukünftigen König zu stiften, sollte sich alsbald als ein ganz wesentlicher Impuls für die Einrichtung einer jetzt lauter geforderten nationalen Kunstgalerie erweisen.
     Allerdings hatte Wagener sein testamentarisches Bekunden mit einigen Auflagen verknüpft. So machte er zur Bedingung, daß seine Sammlung ständig vermehrt und zum Grundstock einer deutschen Nationalgalerie gemacht werde und für sie ein Raum geschaffen werden solle, in dem sie dem Interesse des Publikums ebenso wie Studien der Künstler zugänglich sein kann. Sein Vermächtnis wurde durch den preußischen Staat angenommen, und damit auch die Bedingungen, die daran geknüpft sind.
     Das ist entscheidend dafür, daß die so übernommene Sammlung - ergänzt durch Gemälde aus königlichem und privatem Besitz - am 22. März 1861 als „Wagenersche und National-Galerie" begründet werden kann. Gastrecht erhält sie zunächst in Räumen der Kunstakademie Unter den Linden, aber ihre Unterbringung dort ist nicht als Lösung auf Dauer gedacht.
In königlichem Auftrag wird auf der von Spree und Kupfergraben flankierten »Insel« jenes tempelartige Stammgebäude errichtet, das die Kunstschätze künftig beherbergen soll. Sein Grundstein wird am 2. Dezember 1867 gelegt, zwei Jahre darauf sind die Bauarbeiten bereits bis zum Gesims ausgeführt. Sie stagnieren zeitweilig infolge eines Bauarbeiterstreiks und vor allem während des Deutsch-Französischen Krieges 1870/71. Erst am 1. Januar 1876 ist das Galeriegebäude bezugsbereit, und noch einmal vergehen Wochen, bis am 21. März 1876, wie eingangs beschrieben, seine endgültige Einweihung erfolgt.
     Über zehn Jahre später, am 10. Juni 1886, wird auf der Treppenanlage vor der Nationalgalerie vor zahlreich erschienenem Publikum feierlich ein von Alexander Calandrelli nach einem Entwurf von Gustav Bläser geschaffenes Reiterstandbild eingeweiht, das König Friedrich Wilhelm IV. (1795-1861) zeigt (gegenwärtig ist es dort wegen Restaurationsarbeiten an der vorderen Front des Gebäudes allerdings nicht zu sehen, sondern am Kupfergraben ausgestellt, wobei seine Wiederaufstellung auf der Freitreppe geplant ist). Auf der Museumsinsel folgen auf die Nationalgalerie noch das Kaiser-Friedrich-Museum, später nach dem Kunsthistoriker Wilhelm von Bode (1845-1922) benannt, das 1904 eingeweiht wird, und als jüngster Bau der 1930 eröffnete Komplex des Pergamonmuseums.
     Seit den Tagen ihrer Gründung hat sich die Nationalgalerie als ein Sachwalter der Kunst verstanden.
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Nicht nur in den Zeiten des wirtschaftlichen Aufschwungs, auch in denen des Niedergangs. Und dabei hat sie solche Schätze der Weltkunst erworben wie Adolph Menzels »Concert bei Hofe 1750« und dessen berühmtes »Eisenwalzwerk«, Max Liebermanns 1886/87 gemalte »Flachsscheuer in Laren« oder Max Pechsteins »Weiblicher Akt«. Gleichzeitig werden Aufträge an bedeutende deutsche Meister erteilt. Irgendwann tauchte die Befürchtung auf, daß, falls man in gleicher Weise zu kaufen und zu bestellen fortfährt, in Kürze kein Plätzchen mehr zur Unterbringung von Gemälden im Hause frei sein würde.
     Bald werden die Räumlichkeiten im »Stammhaus« tatsächlich zu klein, zusätzliche Stätten für Ausstellungen müssen gesucht werden. Die nationalsozialistische Aktion »Entartete Kunst« und Auslagerungen sowie die verheerenden Zerstörungen während des Zweiten Weltkrieges haben enorme Verluste an wertvollen Kunstwerken zur Folge. Das schwer kriegsbeschädigte Gebäude selbst kann, zumindest teilweise, als erstes auf der Museumsinsel Ende der 40er Jahre für die Öffentlichkeit wieder zugänglich gemacht werden.
     In der Zeit der Spaltung Berlins entsteht im Westteil der Stadt als Teil der Stiftung Preußischer Kulturbesitz sozusagen eine zweite, die Neue Nationalgalerie, ein Neubau von Mies van der Rohe; sie wird 1968 eröffnet (Kulturforum am Kemperplatz, Potsdamer Straße).
Bis dahin waren die von den westlichen Alliierten gesicherten und später zurückgeführten Kunstwerke in der Orangerie des Charlottenburger Schlosses zu sehen.
     Im Gefolge der Vereinigung wird die nach dem Zweiten Weltkrieg gespaltene Sammlung der Nationalgalerie als Bestandteil der »Staatlichen Museen zu Berlin - Preußischer Kulturbesitz« wieder zusammengeführt. Mit der Neuordnung der Bestände aus dem 19. und 20. Jahrhundert in verschiedenen Häusern hat sie folgende grundlegende Struktur: Alte Nationalgalerie, das »Stammhaus« auf der Museumsinsel (Malerei und Plastik des 19. Jahrhunderts); Neue Nationalgalerie (Malerei und Plastik des 20. Jahrhunderts); Friedrichswerdersche Kirche (Skulpturen der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, von Persönlichkeiten, zu denen Schinkel in Beziehung stand); Galerie der Romantik im Knobelsdorff-Flügel des Schlosses Charlottenburg (Malerei der Romantik und des Biedermeier); Ausstellungshalle »Hamburger Bahnhof« (vorgesehen für 21. Jahrhundert, soll bis zum Herbst dieses Jahres als Museum für zeitgenössische Kunst installiert werden).

Bildquelle:
Zentralarchiv, Staatliche Museen Preußischer Kulturbesitz

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© Edition Luisenstadt, Berlinische Monatsschrift Heft 3/1996
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