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Herbert Schwenk
... in allen articulen, puncten und clausulen

Seit Jahrhunderten Müllprobleme

Wie in allen damaligen Städten lag auch in Berlin um die Mitte des 17. Jahrhunderts die Stadtreinigung sehr im argen. Auf Straßen und Plätzen der 80 Hektar Stadtfläche mit rund 7 000 Einwohnern türmten sich Kehricht, Abfälle, Mist und Bauschutt. Immer wieder ergingen Verbote, die Nachteimer nicht auf die Straßen, Plätze oder hinter die Mauer zu gießen. In den Gängen zwischen den Häusern standen Häuschen, die bei Regenwetter ihren Inhalt auf die Straßen ergossen. Schutt und Schmutz wurden in die Spree gekippt, sogar von der Langen Brücke im Angesicht des Schlosses. Mühlen- und Schleusengraben waren häufig vom Unrat verstopft. Und alles war Quelle vieler Krankheiten und häufiger Epidemien.
     Einen Einblick in die »Sauereien« auf Berlins Straßen zur Zeit des Großen Kurfürsten (1640-1688) gibt zum Beispiel die Berliner Bauordnung vom 30. November 1641: »Es unterstehen sich auch viele Bürger, daß sie auf den freyen Straßen und oft unter den Stubenfenstern Säu- und Schweinställe machen, welches E. E. (ein edler) Rath durchaus nicht leiden und haben will.«

     Im Jahre 1660 richteten Bürgermeister und Ratmannen der Kurfürstlichen Brandenburgischen Residenz- und Hauptstadt Cölln an der Spree ein Gesuch an den Großen Kurfürsten, das folgendermaßen begann: »Gnädigster Herr, wir haben eine Zeithero mit Schmerzen ansehen müssen, wie scheußlich es allhier in Cölln auf den Gaßen lieget, und wie sich keiner an unser Anbefehlen, es vor den Thüren rein zu halten, bishero hat kehren wollen. Dahero wir endlich eine Straßenordnung zu publiziren und bey Ew. Churfl. Durchl. und dero gnädigste Confirmation [Bekräftigung] demüttigst anzuflehen entschlossen sein.« Mit der Zustimmung zu ihrer neuen Straßenordnung erbaten die Cöllner Politiker ausdrücklich die Einrichtung eines sogenannten Gassenmeisters, der ein altes starkes Pferd bekommen möge, um damit künftig für die Müllabfuhr zu sorgen: »... alß bitten wir unterthänigst, Ew. Churfl. Durchl. wollen zu desto mehrer Beförderung dieses nützlichen Werkkes diesem Manne, so sich zum Gassenmeister bestellen lassen will, ein altes starkkes Pferd in Gnaden zuwenden und die gnädigste Verordnung thun, damit Ihme wöchentlich von den Müllen Hoofe (am Mühlendamm) etwas an Futter, soviel Ew. Churfl. Durchl. beliebet, gegeben werden möge.« Dafür, so lockten die Cöllner, müsse der Gassenmeister künftig ohne Entgelt vor den kurfürstlichen Häusern in der Großen (Breiten) Straße alles, was sich wöchentlich an Schutt findet, wegbringen und sich verpflichten, "den Orth reine zu halten".
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     Die alleruntertänigste Bitte fand Gehör: "Seine Churfl. Durchl. befinden, dieses untertänigste Bitten ganz billig zu sein, Und weil Sie selbsten es gerne sehen, daß dieser Residentz Straßen von aller Unfläterey rein gehalten werden, alß wollen Sie hiermit Dero General Feldzeugmeister Dörfflinger in gnaden befehlen, zu diesem Ende ein guth stark Pferd schaffen zu lassen. Cölln an der Spree den 30. May a. 1660." (Zitate nach Bogdan Krieger: Berlin im Wandel der Zeiten. Eine Wanderung vom Schloß nach Charlottenburg durch 3 Jahrhunderte, Berlin-Grunewald [1923], S. 8-10)
     Resultat dieses Vorstoßes der Cöllner Ratmannen war die "Brunnen- und Gassen-Ordnung beyder Residentz- und Haupt-Städte Berlin und Cölln an der Spree. Vom 14ten Augusti 1660". Eindringlich forderte die neue Verordnung von den Einwohnern, "daß sie dieser Brunnen- und Gassen-Ordnung in allen articulen, puncten und clausulen nachleben, darwider nichtes fürnehmen, noch den ihrigen dawider zu handeln gestatten, sondern dieselbe nunmehr, nach dieser von Uns geschehenen confirmation, als ein von Uns selbst gegäbenes Gesetze achten ... " In der Verordnung wurde die grassierende Stadtverunreinigung nicht nur als Quelle "bey Entstehung Feuersgefahr" infolge der schadhaften allgemeinen (öffentlichen)
Stadtbrunnen benannt, sondern auch darauf verwiesen, daß die "auff öffentlichen Gassen ligende Unsauberkeit ... oftmals die Lufft inficiret, und dadurch allgemeiner Stadt einige anklebende Kranckheit, Gott behüte in Gnaden, zugezogen werden könne". Die Brunnenordnung sah nun zwei vom Rat ernannte Bürger als Brunnenherren vor, denen die Sorge für die öffentlichen Brunnen auferlegt wurde. Zugleich waren die Eigentümer der auf den Höfen der Wohnhäuser befindlichen 379 Brunnen zu deren verbesserter Instandhaltung verpflichtet.
     Die Gassenordnung von 1660 zielte auf eine Verbesserung der "Reinlichkeit der Strassen" und ordnete an, die leidigen Unflätereien, die "einigen Stank geben könnten", von den Gassen zu verbannen. Die Hausbesitzer hatten die Straße vor ihren Gebäuden bis zu dem mitten durch die Straßen gehenden Rinnstein zu pflastern, und zwar so, daß bei "regenhaftigem Wetter das Wasser ablaufen könne". Der Müll mußte nun in einem auf den Höfen aufgestellten Gefäß erfaßt werden. In den kleinen schmalen Quergassen und in den Straßen an der Stadtmauer durfte man zwar Kehricht und Mist weiterhin auf die Straße schütten, dies aber sollte sogleich dem Gassenmeister gemeldet werden, den der Kurfürst samt Pferd genehmigt hatte.
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Der Gassenmeister, halb Beamter und halb Unternehmer, hatte täglich durch die Gassen zu fahren und den Unrat wegzukarren, wofür er von den Hauseigentümern einen Groschen und sechs Pfennige für jede Fuhre berechnete; der Abtransport des Mülls vor des Kurfürsten Häusern und vor dem Rathaus war - wie versprochen - unentgeltlich. Eine Verhöhnung und Verspottung des Gassenmeisters war bei Androhung hoher Geldstrafen untersagt.
     Dennoch: Die Probleme der Stadt- und Straßensauberkeit in Cölln und Berlin blieben bestehen. Nur elf Jahre nach der Brunnen- und Gassen-Ordnung von 1660 erging der kurfürstliche Befehl, daß jeder Bauer, der zu Markte gefahren kam, eine Fuhre von dem großen Kehrichthaufen auf dem Neuen Markt zurücknehmen solle. Seit 1676 wurden die Kosten der Müllabfuhr neu geregelt, indem eine jährliche Abgabe für jedes Haus festgesetzt wurde. Aber viele reiche Bürger hielten sich nicht an die Gassenordnung, so daß der Kurfürst die Durchführung selbiger im Mai 1679 dem Gouverneur übertrug. Nun wurde verordnet, daß alle Hausbesitzer selbst dafür sorgen sollten, daß der Unrat vor ihren Häusern beseitigt wird, andernfalls würde der Müll in das jeweilige Haus geworfen. Innerhalb einer Woche sollten die Schweine aus der Stadt verschwinden. Friedrich Nicolai hatte in seiner 1786 veröffentlichten Beschreibung der Königlichen Residenzstädte Berlin und Potsdam noch geklagt:
»Der Auskehricht und anderer Unrat wurde trotz aller Verbote vor die Häuser geworfen oder im Winkel auf einen Haufen gebracht oder in den Strohm geschüttet, so daß die Kanäle zum Abfluß des Unraths fast allenthalben verstopft waren.« Erst 1691 erging ein Verbot der Häuschen in den Gängen zwischen den Häusern, Quelle unsäglichen Gestanks und Ärgernisses, und allmählich ging man daran, die Fäkalien in Behältern »unter der Erden in geschlossenen Gewölben« zu sammeln und danach abzutransportieren - bevor zwei Jahrhunderte später die Stadtentwässerung eine prinzipiell neue Lösung fand. Schließlich brachte auch eine neue Verordnung vom 1. Dezember 1700 ein neues Regime der Straßenreinigung, wonach jede Straße gleich wöchentlich zweimal erfaßt wurde.
     Immerhin soll es Anfang des 18. Jahrhunderts Gäste der Residenz- und Hauptstädte Berlin und Cölln gegeben haben, die besonders die Sauberkeit der Stadt gerühmt haben ...
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© Edition Luisenstadt, Berlinische Monatsschrift Heft 1/1996
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