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Günter Wirth
31. 8. 1930:
Gründung des Bistums Berlin

Der 31. August 1930 ist für die Katholiken der Stadt ein denkwürdiger Tag: Mit dem Dekret des neuen Nuntius Cesare Orsenigo gilt das Bistum Berlin als errichtet, Bischof Christian Schreiber wird inthronisiert. Es war ein langer Weg zum Bistum in der deutschen Hauptstadt.
     In der Folge der nachreformatorischen konfessionspolitischen Auseinandersetzungen des 16. Jahrhunderts und der Festlegungen des Westfälischen Friedens von 1648 hatten Katholiken in protestantisch regierten Territorien (cuius regio, eius religio - wessen Herrschaft, dessen Religion) im Grunde kein Recht auf öffentliche, ja kaum auf private Religionsausübung. Wenn es im reformatorisch geprägten Brandenburg- Preußen dennoch zur Duldung von Katholiken kam, dann im Zusammenhang der Militärpolitik, zumal des Soldatenkönigs Friedrich Wilhelm I., also in Garnisonstädten wie Berlin (1715), Potsdam mit dem legendären Priester Reinmundus Bruns (1723) und Spandau (1731). Weitere Veränderungen ergaben sich nach der Eingliederung Schlesiens mit dem Fürstbistum Breslau, als Friedrich II. in Berlin nicht nur den Bau einer katholischen Kirche zuließ (der nach der schlesischen Heiligen Hedwig benannten),

sondern dafür auch den Baugrund zur Verfügung stellte und wohl sogar auf die architektonische Gestaltung Einfluss nahm (von seinem weltanschaulichen Hintergrund her). 1747 wurde mit dem Bau der Kirche begonnen, am 1. November 1773 wurde sie geweiht.
     Im 19. Jahrhundert haben wir eine merkwürdige gegenläufige Entwicklung zu beobachten. Durch den sogenannten Reichsdeputationshauptschluss von 1803 (Signal auch für das Ende des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation) wird die Säkularisierung katholischer Stifte und Klöster betrieben, in Preußen prägt sich das protestantische System »Thron und Altar« in militanter Weise aus - nicht zuletzt gegenüber den seit 1815 »neuen Provinzen« im Rheinland und in Westfalen mit relevanter katholischer Bevölkerung, und umgekehrt kommt es - sicher nicht ohne Komplikationen und Rückfälle - theologisch und vor allem organisatorisch (katholische Laienbewegung, erste Katholikentage), dann aber auch politisch (Zentrum) zu einer Regeneration des Katholizismus in Deutschland, dem von Preußen aus mehrfach entgegenzusteuern versucht wird (zuletzt im »Kulturkampf« Bismarcks).
     Kirchenorganisatorisch hatte diese Gesamtentwicklung u. a. 1821 mit der päpstlichen Bulle »De salute animarum« (Über das Heil der Seelen) dazu geführt, dass die Fürstbischöfliche Delegatur Berlin- Brandenburg- Pommern errichtet wurde mit dem Propst von Sankt Hedwig als Breslauer Delegaten.
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Unter diesen Delegaten finden sich einige bedeutende Kleriker wie der Propst Anton Brinkmann und der als Abgeordneter in der Paulskirche und als späterer sozial engagierter Mainzer Bischof bekannte Wilhelm Emanuel von Ketteler; dieser hielt übrigens am 3. Juni 1850, also vor 150 Jahren, die erste öffentliche Fronleichnamsprozession nach der Reformation in Berlin ab.
     1821 lebten in Berlin 7 730 Katholiken, 1849 20 000, 1868 50 000, 1887 113 600 und 1900 188 400. In anderen Worten: Wir haben nach der organisatorischen Neugliederung von 1821 ein relativ langsames Ansteigen der Zahl von Katholiken in Berlin zu registrieren, in der zweiten Jahrhunderthälfte, zumal nach der Reichsgründung, demgegenüber ein sprunghaftes, was meist der Zuwanderung katholischer Arbeiterfamilien vor allem aus dem Schlesischen, dann aber auch mit der Übersiedelung katholischer Gelehrter, Beamter und Politiker in das administrative und wissenschaftliche Zentrum Deutschlands zu tun hatte.
     Dieser Sachverhalt spiegelt sich auch im Kirchenbau wider: Nach der Weihe von Sankt Hedwig 1773 ist erst 1854 die der Kapelle des katholischen (Hedwigs)Krankenhauses festzuhalten, dann 1860 die der Kirche der Ursulinerinnen in der Lindenstraße, 1868 die der Matthiaskirche, 1872 die der Piuskapelle, 1880 die der Rixdorfer Sankt-Klara- Kapelle, 1888 die der Bonifatiuskapelle, 1889 die der Herz-Jesu- Kapelle, 1891 die der Maria-Viktoria- Kapelle und der Marienkapelle in der Niederwallstraße, 1892 von Sankt Mauritius.
Es folgten: Sankt Sebastian, Sankt Ludwig, Sankt Johannes. Es ist kein Zufall, wenn der von 1888 bis 1897 wirksam gewesene Delegat Josef Jahnel als der »Kirchenbauer« bezeichnet wird. Wenn ich noch die auch architektonisch bemerkenswerte Marienkirche in der Karlshorster Gundelfinger Straße (1909) erwähne, dann wegen ihres »Bauherrn«, Bernhard Lichtenberg, der von 1905 bis 1910 Seelsorger in Friedrichsfelde und Karlshorst war und 1937 Propst an Sankt Hedwig wurde. 1941 wurde er verhaftet, am 5. November 1943 starb er auf dem Transport ins KZ Dachau. Propst Lichtenberg, der sich vor allem für die verfolgten Juden eingesetzt hatte, ist einer der Blutzeugen des Bistums Berlin. Am 23. Juni 1996 wurde er, der vor 125 Jahren (am 3. Dezember 1875) geboren worden war, seliggesprochen.
     Trotz dieser signifikanten Fortschritte im katholischen kirchlichen Leben (dabei ist noch gar nicht die Rede gewesen von Caritas, Vereinen, Schulen usw.) schien bis 1918 letztlich das protestantische System »Thron und Altar« unantastbar, Berlin als »Hochburg des Protestantismus« uneinnehmbar gewesen zu sein. Noch kurz vor dem Ersten Weltkrieg hob der damalige preußische Kultusminister August von Trott zu Solz, der Vater des späteren antinazistischen, nach dem 20. Juli 1944 ermordeten Diplomaten Adam von Trott zu Solz, in der preußischen Landesversammlung den privilegierten Charakter des Protestantismus gegenüber dem Katholizismus geradezu pathetisch hervor.
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Doch: »Nach dem Kriege hatten, zum ersten Mal seit langer Zeit, die Katholiken freien Raum bekommen ... Deutschland war Republik, und die Zentrumspartei war nicht nur eine politische, sondern auch geistige Macht ...« Dennoch seien genügend Vorbehalte gegenüber dem Katholizismus und seiner »Propaganda« zurückgeblieben. Es war Romano Guardini, der dies in der Rückschau so niederschrieb. Er, einer der bedeutendsten katholischen Theologen im 20. Jahrhundert, wusste, wovon er schrieb, musste doch seine Berufung an die Berliner Friedrich- Wilhelm- Universität als Professor für Katholische Weltanschauung 1923 auf dem Umweg über die an die Katholisch- theologische Fakultät der Breslauer Universität erfolgen: Von dieser wurde er als »Ständiger Gast« nach Berlin abgetreten und erschien im Vorlesungsverzeichnis hinter dem Sportlehrer. Man sieht, welcher Widerstand damals gegenüber dem »Vordringen Roms in Berlin und in der Mark Brandenburg« noch vorherrschte. Freilich sprechen die Tatsachen dafür, dass er durchbrochen wurde, dass die katholische Kirche ihre Stellung in Berlin nach und nach ausbauen und festigen konnte:
     November 1881: In Mönchengladbach, dem damaligen Zentrum des sozialen Katholizismus, entschließt sich ein charismatischer Priester, nach Berlin zu gehen und dort seine volksmissionarische Tätigkeit aufzunehmen:
Carl Sonnenschein (1876-1929), der als »Großstadtapostel« zu einer legendären Persönlichkeit werden sollte.
     Juni 1920: Mit Dr. Heinrich Brauns wird erstmalig ein katholischer Priester Reichsminister (für Arbeit und Soziales).
     30. Juni 1920: Eugenio Pacelli, der spätere Papst Pius XII., überreicht als erster apostolischer Nuntius sein Beglaubigungsschreiben bei der Reichsregierung.
     1921: Der Breslauer Fürstbischof Kardinal Bertram hält in Berlin ein Pontifikalamt zum hundertjährigen Bestehen der Delegatur ab.
     1. Mai 1923: Der Delegat Propst Josef Deitmer wird als Weihbischof inthronisiert, was in der Öffentlichkeit als Ouvertüre zur Errichtung eines Berliner Bistums angesehen wird, während kirchliche Kreise dieses Ereignis umgekehrt als Breslauer Hindernis für einen solchen Schritt bewerten.
     Ende Mai 1923: Romano Guardini hält seine Antrittsvorlesung. Seine Vorlesungen (bis zum Verbot 1939) zählen bald zu denen mit den höchsten Hörerzahlen.
     Juni 1925: Eugenio Pacelli übersiedelt von München nach Berlin, nachdem er im Januar 1925 das Konkordat mit dem Freistaat Bayern abgeschlossen hat. In der Folgezeit beginnen in Berlin die Verhandlungen über ein Konkordat mit der preußischen Regierung, wobei auf Regierungsseite Ministerpräsident Otto Braun (SPD), sein Staatssekretär Weismann und der demokratische Kultusminister C. H. Becker agieren.
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Die St. Hedwigs- Kathedrale im Jahre 1930
     1. April 1928: Mehr als 15 000 Katholiken demonstrieren in Berlin für ihre Rechte (Seelsorge in staatlichen Krankenhäusern).
     13. August 1929: Ministerpräsident Braun und Nuntius Pacelli tauschen die Ratifikationsurkunden des Konkordats aus. Bei den Ratifizierungsdebatten im Preußischen Landtag stimmten die Fraktionen von KPD, NSDAP, Deutschnationaler Volkspartei und Deutscher Volkspartei geschlossen gegen das Konkordat, die beiden ersten von ihren politisch- weltanschaulichen Positionen aus, die beiden letzteren (mit dem DNVP- Politiker Winckler, dem Präses der Generalsynode der Kirche der altpreußischen Union, an der Spitze) mit der Intention, die protestantischen Interessen zu verteidigen.
     10. September 1929: Die Delegatur wird aufgelöst und der Bischof von Meißen, Dr. Christian Schreiber, als apostolischer Administrator eingesetzt. Er nimmt am 7. Oktober 1929 seine Amtsgeschäfte auf.
     20. November 1929: Im Sportpalast findet eine Begrüßungsveranstaltung für Bischof Schreiber statt, der sich in einer Ansprache zur Weimarer Republik bekennt.
     13. August 1930: Ein Jahr nach dem Austausch der Ratifikationsurkunden kommt es zur Veröffentlichung der Apostolischen Konstitution »Pastoralis officii Nostri« - das Bistum Berlin wird Suffraganbistum von Breslau, das seit dem Konkordat Erzbistum ist.
     25. August 1930: Schreiber wird offiziell Bischof.
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Als die Stadt Bistum wird, leben 400 000Katholiken in Berlin, betreut in sieben Archipresbyteraten, 40 Pfarreien und 32 Kuratien. Um den Anforderungen einer Bischofskirche gerecht werden zu können, läßt Bischof Dr. Schreiber die Sankt-Hedwigs- Kathedrale ab 1930 ausbauen; am 14. Mai 1932 sind diese Arbeiten abgeschlossen. Bischof Schreiber, der auch als Theologe bekannt war, stirbt schon 1933. Es war übrigens ein weiser Einfall der Berliner Katholiken, angesichts des 1933 herrschenden NS- Führerkults, Schreibers Tod im Katholischen Wochenblatt für Berlin mit der Schlagzeile bekannt zu machen:
     »Unser Führer ist tot!«
Da wußten die Katholiken, an welche Führer sie sich zu halten hatten!! Schreibers Nachfolger wird Dr. Nikolaus Bares, der ebenfalls früh stirbt (1. März 1935). Ihm folgt Konrad Graf Preysing (bis Ende 1950). Ich erwähne dies, weil mit der schon bald nach Ende des Zweiten Weltkrieges erfolgten Berufung von Graf Preysing ins Kardinalskollegium der politischen Tatsache Rechnung getragen wurde, dass das bisherige Erzbistum Breslau (als Wroclaw) zu dem Territorium gehörte, das Polen zugesprochen worden war.
War früher der höchste Berliner Kleriker Breslauer Delegat, so wurde jetzt gewissermaßen das Breslauer Kardinalat auf Berlin delegiert. Komplettiert wurde dieser Prozess durch die Erhebung des Bistums Berlin zum Erzbistum am 8. Juli 1994.
Benutzte Literatur:
     Berliner Windthorst- Kalender auf das Jahr 1893, Hrg. Dr. Nikolaus Thoemes, Berlin o.j.
     Georg Schubert (Hrg.), Das Bistum Berlin, Berlin 1932
     Peter Beier u. a., Der Glaube lebt. 50 Jahre Bistum Berlin 1930-1980, Leipzig 1980
     Hubert Bengsch, Bistum Berlin, Berlin 1985
     Richard Höhle, Die Gründung des Bistums Berlin 1930, Paderborn 1996
     Dieter Hanky, Waltraud Bilger, Erzbistum Berlin 1930-1996. Daten- Fakten- Zahlen, Berlin 1996/97
     Romano Guardini, Berichte über mein Leben, Düsseldorf 1984
     Günter Wirth, Wie es zum Guardini- Lehrstuhl kam, in: H. J. Schuster (Hrg.), Guardini weiterdenken (I), Berlin 1993
     Overesch/ Saale, Die Weimarer Republik. Eine Tageschronik der Politik, Wirtschaft, Kultur, Augsburg 1992

Bildquelle: Archiv LBV

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© Edition Luisenstadt, Berlinische Monatsschrift Heft 6/2000
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