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Günter Moser
24. April 1873:
Geburtstag von Spindlersfeld

Als die in der Berliner Wallstraße ansässige renommierte Firma W. Spindler - Wäscherei, Färberei und chemische Reinigung - mitteilte, daß sie am 24. April 1873 den ersten Teil eines neuerrichteten Werkes in der Nähe von Köpenick in Betrieb genommen habe, erregte das in der Öffentlichkeit wenig Aufsehen. Denn während des schon zwei Jahre währenden Gründerbooms zählte es zu den Normalitäten, daß ständig Neues entstand und Berliner Unternehmer größere und modernere Betriebe am Rande oder außerhalb der Stadt errichteten. Trotzdem gab es etwas Besonderes. Die Firma hatte für 50 Arbeiterfamilien in unmittelbarer Nähe des neuen Betriebsteiles gleichzeitig Wohnhäuser fertiggestellt, die sich durch ihre Bauweise und ihre Lage im Grünen sehr angenehm von den Berliner Mietskasernen abhoben. Weitere solche Wohnhäuser waren bereits im Bau oder geplant. Natürlich kam dies auch der Firma zugute: Ihr standen im neuen Betriebsteil sofort fachkundige und einsatzfreudige Stammarbeiter zur Verfügung.

An diesem Konzept hielt die Firma fest, als sie in den folgenden Monaten und Jahren schrittweise den gesamten Betrieb in die Nähe von Köpenick verlagerte und dort mit einer Vielzahl neuer Anlagen ihr Produktions- und Dienstleistungsprogramm enorm erweiterte. Die Fabrik in der Berliner Wallstraße wurde indessen zu einem Bürohaus, dem attraktiven »Spindlershof«, umgebaut, wo sich weiterhin das »Hauptkomtoir« der Firma befand und andere Unternehmer Geschäftsräume mieteten.
     Um sein neues Etablissement errichten zu können, hatte Wilhelm Spindler schon 1871 100 Morgen (25 ha) und später weitere 200 Morgen Land westlich von Köpenick, am linken Ufer der Spree, erworben. Dieses Areal gehörte zum Gutsbezirk Köpenick, über den nicht die Stadt Köpenick, sondern die brandenburgische Provinzialregierung verfügte. Außerdem hatte der Begründer der Firma sein Unternehmen inzwischen gemeinsam mit seinen beiden Söhnen Carl und William zu einer Aktiengesellschaft umgebildet. Selbstbewußt nannten die Eigentümer ihren neu entstehenden Ort »Spindlersfeld«. Der Eröffnung der ersten neuen Betriebsteile und dem Bezug der ersten Werkswohnungen folgten bald weitere Neubauten beider Art. So entstand erstmalig im Berliner Raum ein planmäßig von einer Firma angelegter, in sich relativ geschlossener Industrie- und Wohnkomplex, der durch zusätzliche Anlagen immer markantere Konturen annahm.
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     Zunächst aber entbrannte ein heftiger Streit um die Bezeichnung des Areals als »Spindlersfeld«. Im Frühjahr 1873 entschied sich die brandenburgische Provinzialregierung nämlich, den Gutsbezirk Köpenick aufzulösen und das Gebiet in die Verwaltung der Stadt Köpenick zu übergeben. In diesem Zusammenhang legte der Magistrat von Köpenick fest, daß die Bezeichnung »Spindlersfeld« aufzugeben sei; als Teil der Stadt dürfe das Areal keinen gesonderten Namen tragen. Nicht zuletzt um das Vermächtnis ihres am 28. April 1873 verstorbenen Vaters zu wahren, setzten sich Carl und William Spindler vehement für die Beibehaltung der Bezeichnung »Spindlersfeld« ein. Schließlich sei ihre Firma unter dem Namen »W. Spindler - Wäscherei, Färberei und chemische Reinigung - Berlin C und Spindlersfeld bei Coepenick« landesweit bekannt; außerdem entwickele sich ihr Terrain allmählich zu einem Stadtteil, der ähnlich wie andere - z. B. Vorstadt, Altstadt, Neustadt - auch einen eigenen Namen tragen könne. Nach langem Hin und Her teilte die brandenburgische Provinzialregierung schließlich am 29. Dezember 1873 mit, daß »dem im Besitz der Firma W. Spindler befindlichen, zur Zeit zum selbständigen Gutsbezirk Coepenick gehörenden Fabriketablissement der Name >Spindlersfeld< beigelegt worden ist«. Das möge auch nach seiner Angliederung an die Stadt Köpenick so bleiben.      Die Entwicklung von Spindlersfeld machte der neuen Stellung als Stadtteil von Köpenick alle Ehre. Neben den ausgedehnten Fabrikanlagen entstanden hier zunehmend mehr ansehnliche Arbeiterwohnhäuser, kleine Villen leitender Angestellter und Einfamilienhäuser des mittleren Personals der Firma. Zwei Parkanlagen dienten der Entspannung. Als vorbildlich für diese Zeit galten der betriebseigene Kindergarten und ein Badehaus, in dem Betriebsangehörige warme Wannenbäder nehmen konnten. Zu einer Attraktion wurde das 1890 eröffnete Erholungshaus. Hier ermöglichte eine Gaststätte auch Theateraufführungen, andere Räume standen für populärwissenschaftliche Vorträge, Gesangs- und Vergnügungsvereine bereit. 1891 komplettierten der Bahnanschluß und die Errichtung des Bahnhofs Spindlersfeld auf Kosten der Fa. Spindler den Industrie- und Wohnkomplex.
     Noch original erhalten sind Teile der alten Fabrikgebäude (von Rewatex genutzt), der alte Kindergarten vor dem Haupteingang, in dem noch immer ein Kindergarten untergebracht ist, mehrere Arbeiterwohnhäuser in der Menzelstraße (1994/95 rekonstruiert), einige kleine Villen (z. B. in der Menzelstraße).
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© Edition Luisenstadt, Berlinische Monatsschrift Heft 4/1996
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